Dem hamburgischen Staate gehörten ab dem 3.7.1918 etwa die Hälfte der HHA-Aktien, aber sein Anteil stieg im Laufe der Jahre. Bezahlt hatte er die Aktien, indem er den Bahnkörper der Hoch- und Untergrundbahn und später die Straßenbahngleise in die Gesellschaft einbrachte. Der Staat erhielt dafür B-Aktien und B-Vorzugsaktien. Die privaten Anlegte besaßen lediglich A-Aktien. Die B-Vorzugsaktien hatten 5-faches Stimmrecht.[22] Dies ermöglichte dem hamburgischen Staat, bei den betrieblichen Entscheidungen zum öffentlichen Personennahverkehr das „Wohl der Allgemeinheit” durchzusetzen.
Aber daraus wurde nichts. Die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen passten nicht. Hinzu kam ein Interessenkonflikt: Für die Fahrgäste wäre ein gutes Verkehrsangebot bei niedrigen Fahrpreisen wünschenswert. Für den Staatshaushalt wäre eine gute Ertragslage wünschenswert. Hinzu kam, dass man den privaten Aktionären eine Dividende von 5% garantiert hatte. Für den Fall, dass die HHA diese Dividende nicht erwirtschaftet, musste der hamburgische Staat für die garantierte Dividende einspringen.
![]() blau: Alsterschiffe, grün: Busse, rot: Straßenbahn, gelb: U-Bahn |
In der Aufsichtsratsitzung vom 28.7.1924 legte der HHA-Vorstand einen Generalplan für ein erweitertes Hoch- und Straßenbahnnetz vor.[47,Seite 46] Hierzu gehörte u.a. der Bau der U-Bahnstrecke Kellinghusenstraße – Jungfernstieg.
Zur Finanzierung wurde Ende Mai 1925 eine Fahrpreiserhöhung eingeführt. Beispielsweise erhöhten sich die Preise für Einzelfahrkarten um jeweils 5 Pfennig auf 15, 20, 25 und 30 Pfg.[47,Seite 47] Eine weitere Fahrpreiserhöhung folgte Ende Oktober 1929.
Ebenfalls 1929 wurde die Weltwirtschaftskrise ausgelöst. Sie wurde erst im Laufe des Jahres 1933 überwunden — erst ab dann ging es mit der Wirtschaft wieder aufwärts. Die durch die Weltwirtschaftskrise hervorgerufene Arbeitslosigkeit bewirkte einen Rückgang der jährlichen Beförderungsfälle:
Jahr | Beförderungsfälle (Mio) | Einnahmen (Mio RM) |
---|---|---|
1930 | 307 | 67,8 |
1933 | 191 | 37,6 |
Die Hamburger Presse schoss sich auf die HHA ein und sparte nicht an Kritik.
Die Politik, Verkehrsmittel auf sich nicht rentierenden Strecken eingehen zu lassen, setzt die Hochbahndirektion unbeirrt fort; die einzige Begründung ist der Hinweis auf die Unrentabilität.
Wenn nun aber die Direktion auch nur den einen Teil der Aufgabe: die Herauswirtschaftung von Überschüssen und Dividenden ins Auge fasst, so kann sie doch nicht auf Kundenwerbung verzichten. Und dass sie statt der Kundenwerbung Kundenverärgerung und Kundenverscheuchung betreibt, ist ihr Fehler.
Auch gegenüber ihren Mitarbeitern war die HHA nicht freundlich. Sie reduzierte 1931 ihre Mitarbeiteranzahl um 1266 und begann das Jahr 1932 mit nur noch 8846 Mitarbeitern. Somit wurden 1931 12,5% der Mitarbeiter abgebaut. Zum 1.10.1932 sollten die Löhne und Gehälter um 5% gekürzt werden. Außerdem war vorgesehen, zum 1.11.1932 die wöchentliche Arbeitszeit um 3 Stunden kürzen zu können. Beide Maßnahmen zusammen hätten für die Mitarbeiter einen Einkommensverlust von 11% bedeutet. Dies führte zu einem viertägigen Streik ab dem 1.10.1932. Der mit „Die Hamburger Hochbahn im Fehlerkreis” überschriebene Kommentarauszug im blauen Kasten stammt aus einem Zeitungsartikel über den Streik.
Mit Rücksicht auf die gesunkenen Lebenshaltungskosten sind wir im Herbst des Berichtsjahres in Verhandlungen mit unserem Personal über eine weitere Lohnherabsetzung eingetreten. Die Lohnverhandlungen haben zu einem Schiedsspruch des Schlichters Nordmark geführt, der vom 1.Oktober an eine Lohnsenkung von 5% festsetzte, und außerdem zur Vermeidung von Entlassungen bestimmte, dass die Arbeitszeit vom 1.November an auf 45 Stunden wöchentlich verkürzt werden könne.
Diesen Schiedsspruch hat das Personal nicht angenommen und ist am 1.Oktober in den Streik getreten. Am 4.Oktober hat der Reichsarbeitsminister den Schiedsspruch für verbindlich erklärt; die Arbeit ist am 5.Oktober wieder aufgenommen worden.
Besonders schnell war der NS-Gauleiter für Hamburg, Karl Kaufmann. Nachdem der Hamburgische Senat bereits zwei Tage vor der Reichstagswahl zurückgetreten war, besetzte Karl Kaufmann mit Hilfe einiger Gruppen aus SA- und SS-Leuten am Wahltag das Hamburger Rathaus und ließ dort die Hakenkreuzflagge flattern. Am 8.3.1933 übernahm die NSDAP gemeinsam mit anderen Mitte-Rechts-Parteien die Hamburger Regierung. Am 9.3. war ein neuer Senat gewählt. Die Bürgerschaft wurde nach dem Stimmergebnis der Reichstagswahl umgestellt und den Abgeordneten der Kommunisten wurde die Teilnahme an den Sitzungen untersagt. Bis zum 28.5.1933 waren auch die letzten bürgerlichen Senatoren zu Mitgliedern der NSDAP geworden. Im Juli 1933 wurden alle politischen Parteien mit Ausnahme der NSDAP und der SPD aufgelöst. Die SPD konnte man nicht auflösen, denn sie hatte sich bereits am 22.5.1933 selbst aufgelöst.
Fast alle Hamburger Tageszeitungen wurden eingestellt. Der „Anzeiger” und das „Fremdenblatt” wurden vom NS-Zentralverlag übernommen; das „Tageblatt” konnte unverändert weiter bestehen.
Auch in der Geschäftsleitung der HHA gab es Änderungen. Ein Mitglied der Bürgerschaft und der NSDAP, der Kaufmann Friedrich Wilhelm Nicolaus Stanik (*11.4.1898 in Borkum; †25.2.1964 in Hamburg), wurde zum 10.4.1933 mit der vorläufigen Wahrnehmung der Geschäfte der HHA beauftragt. Die Vorstandsmitglieder Dr. Ing.e.h. Stein, Dr. Ing. Mattersdorff und Dr. Jur. Mumssen wurden vorläufig beurlaubt.
»Am 10. erschien das nationalsozialistische Bürgerschaftsmitglied und A.R.Mitglied Friedrich Stanik im Dienstzimmer des Verfassers und erklärte, er sei vom Senat beauftragt, die Dienstgeschäfte des Vorsitzenden des Vorstandes als Staatskommissar zu übernehmen. Der Verfasser sei bis auf Weiteres beurlaubt. Im Anschluß hieran hat Stanik auch den Betriebsratsvorsitzenden Jaeger, Riemenschneider und Kahler mitgeteilt, daß sie bis auf Weiteres vom Dienst dispensiert seien unter Fortgewährung der Bezüge.
In den darauf folgenden A.R.Sitzungen trat Regierungsdirektor Dr. Köhn als Vertreter der öffentlichen Interessen und in Vertretung des vom Senat ernannten Staatskommissars Bürgermeister Krogmann auf und verlangte Namens des Senats die sofortige Abberufung und Pensionierung der Vorstandsmitglieder Dr. Stein, Dr. Mumßen und Dr. Mattersdorf aufgrund der 38ten Verordnung zur Sicherung des hamburgischen Staatshaushalts vom 31. März 1933. Die in der Sitzung vorgebrachten Bedenken wegen ewaitiger Regreßpflicht der A.R. Mitglieder wurden durch eine ― später am 2. Mai ― schriftlich bestätigte Erklärung des Senats (Staatsrat Ahrend) abgewehrt, daß der Senat den A.R. wegen der am 25.April gefaßten Beschlüsse decken werde. ― Der bisherige Staatskommissar Stanik wurde in den Vorstand berufen. Außerdem wurde dem Angestellten der HHA Wilhelm Sieh Prokura erteilt.
Herr Stanik scheint seinen neuen Job mit Elan begonnen zu haben. Die Presse war voll des Lobes.
»Umstellungen bei der Hochbahn A.G.
Begrüßenswerte Neuerungen. — Die Pläne des Staatskommissars Stanik.
Der Staatskommissar bei der Hamburger Hochbahn A.G., Friedrich Stanik, M.d.B., sprach mit Pressevertretern über die grundsätzliche Umstellung dieses Unternehmens und gab interessante Einzelheiten über technische Änderungen bekannt.
Aus einem reinen Erwerbsunternehmen wird die Hochbahn in ein Unternehmen umgebaut, das ausschließlich im Dienst der Öffentlichkeit stehen soll.«
»Die vom Staatskommissar Stanik angekündigten Neuerungen werden bei der gesamten hamburgischen Bevölkerung ein freudiges Echo finden. Sie gewinnt die Überzeugung, dass die neue Leitung des Hochbahn A.G. ernstlich von dem Willen getragen wird, Rücksicht auf die vielfachen Wünsche aus allen Kreisen der Bevölkerung zu nehmen, und dass sie zu deren Erfüllung bereit ist, auch einmal etwas zu riskieren.«
»Die Hochbahn im neuen Staate Friedrich Stanik (M.d.B.): Meine Aufgabe war, den Betrieb so zu reorganisieren, dass er zur Bevölkerung wieder in ein gutes Verhältnis gelangt; denn in den letzten Jahren hat es in Hamburg kaum einen Betrieb gegeben, der so unbeliebt war wie derjenige der Hochbahn. […] Wir haben die Mammutgehälter beseitigt und den Aufsichtsrat von 30 auf 12 Mitglieder reduziert. Die Tantiemen der Aufsichtsratsmitglieder werden wir streichen.«
»Auch im Betrieb personelle Änderungen
Das →Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums verlangte die Ausmerzung aller staatsfeindlichen und politisch oder rassisch nicht einwandfreien Gefolgschaftsangehörigen; es gab ferner die Handhabe zu einer Umbesetzung in den einzelnen Stellen, wie es den Interessen des Betriebes entsprach. Auf diese Weise wurde der Betrieb in personeller Hinsicht auf nationalsozialistische Grundlage gestellt. Selbstverständlich sind so verschiedene unerwünschte Elemente aus dem Betriebe entfernt und dafür alte bewährte Nationalsozialisten eingestellt worden. Dass aber bei der Umstellung nach äußerst sozialen Gesichtspunkten vorgegangen wurde, beweist die Tatsache, dass eine ganze Anzahl von Gefolgschaftsmitgliedern, deren Weiterbeschäftigung nicht mehr tragbar erschien, durch Herabsetzung des Pensionsalters vor der Arbeitslosigkeit bewahrt blieb und in gesichertem Ruhestand, frei von materiellen Sorgen, leben kann.«