Hamburger Hochbahn (U-Bahn):
Die Hamburger Hoch- und Untergrundbahn
Zeitschrift „Der Städtebau”, Heft 3/4 1912

„Der Städtebau” war eine Monatszeitschrift für die künstlerische Ausgestaltung der Städte nach ihren wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Grundsätzen. Als Erscheinungsort war Berlin und Wien angegeben.

Dieser Zeitschriftenbeitrag spiegelt die Begeisterung des Autors, Ing. M.A.R. Brünner aus Berlin, für die neue U-Bahn in Hamburg wider. Der Artikel erschien kurz nach deren Betriebseröffnung auf den Seiten 40 und 41 im März/April-Doppelheft des Jahrgangs 1912 der Zeitschrift „Der Städtebau”. Die Hamburger Hoch- und Untergrundbahn nahm am 1.3.1912 ihren Linienbetrieb auf.

Quelle, abgerufen am 14.4.2014:
https://archive.org/stream/stdtebau12berluoft#page/40/mode/2up und
https://archive.org/stream/stdtebau12berluoft#page/n3/mode/thumb

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In der Entwicklungsgeschichte Hamburgs wird das Frühjahr 1912 für immer eine hervorragende Bedeutung besitzen, da in diese Zeit die feierliche Eröffnung der Hochbahn, einer der großartigsten Verkehrseinrichtungen, fiel.

Nachdem im Jahre 1905 die langjährige Umgestaltung und Erweiterung des staatlichen Eisenbahnwesens erfolgt war und an Stelle der veralteten Bahnhöfe der mächtige Hauptbahnhof, der moderne Dammtor- und Sternschanzenbahnhof sich erhoben hatte, nachdem ferner die elektrische Stadt- und Vorortbahn zwischen Blankenese und Ohlsdorf ausgebaut worden war und ihren Betrieb eröffnet hatte, folgte im Jahre 1911 die Vollendung des gigantischen Elbtunnels, der den Verkehr zwischen dem Hamburg jenseits der Elbe, Steinwerders, zum großen Teile unabhängig machte von dem Wasserverkehr und von dem fernen Elbbrückenverkehr.


Als drittes Verkehrsunternehmen von einschneidender Bedeutung schloss sich dann die Hoch- und Untergrundbahn an. Mit seiner Verwirklichung ist die Hansestadt tatsächlich in die Reihe der Weltstädte eingetreten; denn die Anlage einer Untergrundbahn wird immer erst dann zur zwingenden Notwendigkeit, wenn der Straßenverkehr infolge des Wachstums der Stadt mit den in ihm möglichen Verkehrsmitteln nicht mehr bewältigt werden kann, zum Teil auch, wenn eine Erweiterung des oberirdischen Bahnverkehrs durch die dichte Bebauung zu kostspielig oder gar unmöglich geworden ist. In London trat dieser Augenblick schon in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein; diese größte aller Großstädte des Erdballs besitzt darum schon seit mehr als vier Jahrzehnten ihre Untergrundbahn, zugleich die erste der Welt.

Seitdem aber haben sich auch viele andere Großstädte gezwungen gesehen, diesem Beispiele zu folgen, ohne freilich das System der Unterpflasterbahn streng durchzuführen. Das System der Schwebe- oder Hängebahn, das seit 1901 in Barmen-Elberfeld dem städtischen Verkehr dient und bekanntlich seinerzeit auch in Hamburg viel erörtert wurde, ist bisher auf die rheinländische Industriestadt beschränkt geblieben.


Bereits im Jahre 1893, zu einer Zeit, wo die Einwohnerzahl Hamburgs etwa 580000 betrug, sind die ersten Entwürfe für eine elektrische Vorortsbahn bearbeitet und einem Hohen Senat unterbreitet worden. Nach langwierigen Verhandlungen haben Senat und Bürgerschaft im Frühjahr 1906 den Bau einer Ringlinie und dreier Zweiglinien in der jetzt ausgeführten oder begonnenen Form genehmigt und die Ausführung der Siemens & Halske A.-G. und der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft in Gemeinschaft übertragen. Die staatliche Aufsicht und die Vertretung der staatlichen Interessen erfolgte durch die Senatskommission für die Stadt- und Vorortbahnen. Der Abschluss eines förmlichen Betriebsvertrages mit den Elektrizitätsgesellschaften erfolgte am 25. Januar 1909. Nach diesem Vertrage hatten die Gesellschaften eine besondere Betriebsgesellschaft, die Hamburger Hochbahn Aktiengesellschaft, mit einem Kapital von 15 Millionen Mark zu gründen, die für ihre Rechnung die gesamten Betriebsanlagen zu beschaffen hat. Die Gründung dieser Gesellschaft erfolgte am 27. Mai 1911. In ihrem Aufsichtsrat ist der Staat durch drei Kommissare vertreten.


Baulich passt sich die Bahn dem keineswegs ebenen Gelände nach Möglichkeit an. In der Elb- und Alstermarsch liegt sie vorwiegend über der Straße, in den Geestrücken vielfach im Untergrund. Einzelne Abschnitte, wie z.B. die Untergrundstrecke in dem zur Alstermarsch gehörigen Mittelpunkt der Altstadt ergeben sich aus Raummangel. Aus der gleichen Ursache entstand die ungewöhnlich stark geneigte Rampe am Mönkedamm (1:20,7). Die aus zwei strahlenförmigen Linien beiderseits der Alster zusammengesetzte sogenannte Ringlinie verbindet den Mittelpunkt des Verkehrs in der inneren Stadt mit dem Hafen und den wichtigsten Vorstädten und durch die Verbindungsstrecke Barmbeck–Eppendorf auch mit dem neuen Stadtpark in Barmbeck–Winterhude.


Der Hochbahnzug besteht aus Wagen zweiter und dritter Klasse; die zweite Klasse ist rot, die dritte gelb lackiert. Im Innern sind die Wagen mit poliertem Mahagoniholz ausgestattet. Der Zug wird mit der bedeutenden Beschleunigung von 0,7 m/s in der Sekunde, d.h. fünf- bis zehnmal so schnell wie bei Dampfbahnen, in Bewegung gesetzt – eine noch größere Beschleunigung würde unbequem sein und stehende Fahrgäste leicht umwerfen. Die Geschwindigkeit steigt in kurzer Zeit auf 40 km, bei langen Strecken auf 50 km in der Stunde.

Die Wagen erhalten den Strom durch Stromabnehmer, welche die Stromschiene nur von unten berühren, so dass diese im übrigen isoliert werden konnte. Alle Wagen sind Motorwagen mit je zwei hundertpferdigen Motoren; sie sind mit Vielfachsteuerung ausgerüstet, so dass die Züge von jedem Wagen aus gesteuert werden können.

Luftdruckbremse und elektrische Heizung und in den Tunnelstrecken am Tage selbsttätig einschaltende Beleuchtung sind vorgesehen.

Die Zugsicherung erfolgt durch ein neuartiges sechsfeldriges Blocksystem; die Betätigung der Block- und Signaleinrichtungen durch Menschenhand ist derart durch elektrischen Antrieb ersetzt, dass die menschliche Tätigkeit fast nur noch in der Kontrolle der Einrichtungen besteht.

Die Wagen sind in großen, modern eingerichteten Werkstätten in Barmbeck untergebracht.


In diesem Vorort befindet sich auch die Hauptkraftstation, die schon von weitem durch den riesige 80 m hohen Schornstein, der oben 4 m lichte Weite hat, sichtbar ist. Mächtige Kohlenhaufen türmen sich im Hofe auf und elektrische Kräne sowie ein sinnreich konstruiertes Becherwerk entnimmt die schwarzen Diamanten aus dem Kanal oder den Eisenbahnwagen und befördert sie nach dem Kesselhaus. Die Kettenroste werden selbsttätig bewegt und damit entfällt die anstrengende Heizerarbeit. Es sind fünf Wasserrohrkessel vom 420 qm Heizfläche bei 15 Atm. Höchstspannung aufgestellt. Ferner erblicken wir im Maschinenhaus zwei Turbodynamos von je 2000 kW und einen von doppelter Leistungsfähigkeit, so dass hier 8000 kW erzeugt werden.

Dieser gewaltige Drehstrom von 6000 Volt wird zwei Unterwerken, und zwar in Eppendorf sowie der Station Hauptbahnhof zugeteilt, wo er durch sechs Kaskadenumformer auf 800voltigen Gleichstrom gebracht wird. Diese Umformer besitzen selbsttätige Erregermaschinen, die den Stromverbrauch je nach Bedarf regeln. Hier sind noch zwei Bufferbatterien von je 1258 Amperestunden, zwei Lichtbatterien von je 331 Amperestunden und Piranigruppen zu je 180 PS aufgestellt.

Fernsprecher vermitteln den Austausch zwischen allen Halte- und Betriebsstellen, für die Fahrkarten sind außer den Schaltern elektrisch betriebene Automaten im Gebrauch.


Die ganze Bahn stellt ein 50-Millionenunternehmen dar; die Kosten setzen sich wie folgt zusammen:

Der Grunderwerb ist vom Staate beschafft.

Um ertragreich zu sein, muss die Bahn von 45 Millionen Fahrgästen benutzt werden, doch kann mit dieser Annahme gerechnet werden.

Die ganze Länge beträgt 27850 m, wovon

Der größte Teil des Ringes ist dem Betrieb übergeben worden, während einige Zweiglinien sowie das Unterwerk zu Eppendorf erst in weiterer Ferne eröffnet werden können. Im ganzen sind 33 Haltestellen vorgesehen, dafür für den Ring 23. Sie liegen zum Teil unter der Erde, zum Teil auf Viadukten, zum Teil auf Dämmen oder zwischen Futtermauern. Ihre Bahnsteige haben eine Länge von 60 m.

Man hat sich beim Bau alle Erfahrungen beider Systeme zunutze gemacht, und stellt die Hamburger Schnellbahn zur Zeit als das Beste auf diesem Gebiete dar.

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