Straßenbahnen in Hamburg:
Gleise und Weichen

Die Hamburger Pferde- und Straßenbahnschiene
Anfang der sechziger Jahre im 19. Jahrhundert hatte der aus Kopenhagen stammende Civil- und Marine-Ingenieur A.F. Møller in Berlin und Hamburg eine Konzession für den Bau und Betrieb einer Pferdeeisenbahn beantragt. Die Berliner erteilten die Konzession schneller als der Hamburger Senat. Noch vor Baubeginn trat Møller die Konzession an die neugegründete Berliner-Pferdeeisenbahn ab, die dann dem Ingenieur Johann Andreas Culin die Bauleitung übertrug.

Im Juni 1865 wurde die erste Pferdeeisenbahnstrecke in Deutschland vom Brandenburger Tor nach Charlottenburg eröffnet.

Die zweite Pferdeeisenbahn wurde in Hamburg gebaut. Die 1864 gegründete Pferde -Eisenbahn-Gesellschaft (PEG) wurde von dem Ingenieur Møller und dem Leiter der Wagenfabrik F.C. Lauenstein geleitet. Auch in Hamburg bekam J.A. Culin, der bei der Lauensteinischen Waggonfabrik beschäftigt war, den Auftrag, die Pferdebahn von Hamburg nach Wandsbek zu bauen. Deren erste Strecke zwischen dem Hamburger Rathausmarkt und dem Wandsbeker Zollamt wurde 1866 eröffnet. Innerhalb von 4 Jahren gab es bereits 7 Linien der PEG in Hamburg.

Die Spurweite und Spurführung lehnte sich an die der Dampfeisenbahn an. Für die Laufflächen der Räder wurden im Straßenpflaster Langholzschwellen 100 * 80 mm eingelassen. Sie waren mit einer gusseisernen[1] Flachschiene beschlagen. Das genügte zwar zunächst bei den leichten Gewichten der Fahrzeuge und der geringen Geschwindigkeit, doch schon bald nahm der Betrieb zu und machte die Mängel dieser Schiene deutlich: Die Schienen lösten sich von den Holzschwellen und die Lauffläche wurde uneben. Es wurden Versuche mit Winkeleisen in „S”- Form gemacht. Vignolschienen, die ohne große Befestigung in das Straßenpflaster gesetzt wurden, verbogen sich und beschädigten das Pflaster. Hinzu kam, dass die normalen Pferdefuhrwerke fast die gleiche Spurweite wie die Pferdebahn von 1435 mm hatten. Ihre Kutscher fuhren gerne auf den Stahlschienen, um die Fahrt auf dem Kopfsteinstraßenpflaster zu vermeiden.

Flachschiene und S-förmige Winkelschiene auf Langholzschwelle genagelt Erstes Rillenschienenprofil Phoenix 1879 Die Hamburger Rillenschiene NP4
Flachschiene und
S-förmige Winkelschiene
Erstes Rillenschienenprofil
Phoenix 1879
Die Hamburger Rillenschiene NP4
Um eine Rillenschiene zu erhalten, wurde die Schiene aus zwei bis vier Teilen zusammengesetzt. Diese recht stabile Bauart trieb aber die Kosten für das Gleis und den Oberbau in die Höhe.

Im Jahre 1873 hatte J. A. Culin seinen 21-jährigen Jahren Sohn Gustav Amadeus Andreas Culin als Ingenieurassistent zur Mitarbeit bei der PEG eingestellt. Er erhielt die Aufgabe, den Gleisbau bei der PEG zu verbessern. Nachdem der junge G.A.A. Culin den nach seiner Meinung richtigen Querschnitt einer einteiligen Rillenschiene zu Papier gebracht hatte, wurde der Entwurf von allen Fachleuten als in der Herstellung unausführbar (nicht walzbar) beurteilt.[Johann Andreas Culin und sein Sohn Andreas Culin]

Wechselsteg-Verblattschiene aus drei Teilen Foto links: Wechselsteg-Verblattschiene aus drei Teilen.

Weil die Technik noch nicht in der Lage war, eine Rillenschiene herzustellen, wurden versuchsweise Rillenschienen ohne Fuß mit geringer Festigkeit hergestellt. Sie erhielten auf beiden Seiten Winkelstücke als Fuß. Die Winkelstücke wurden mit Schrauben an die Fahrschiene befestigt. Es war die Wechselsteg-Verblattschiene. An dieser Grundform hat sich bis heute nicht viel geändert.

Erst 1879 fand der Betriebsdirektor des Ruhrorter Hüttenwerkes Phoenix  AG., der Königliche geheime Baurat Philipp Fischer, ein geeignetes Walzverfahren zur Herstellung einer einteiligen Rillenschiene.[2]

Die SEG wurde 1881 von der Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft übernommen und unter die Führung von Direktor J.A. Culin gestellt. 1882 wurde in Hamburg dies neue Profil in Deutschland erstmalig verlegt. Die Erfindung eroberte die Welt und den Weltmarkt. Der Einbau wurde nach den Vorgaben von G.A.A. Culin vorgenommen und mit einem Gleisbett und einer Spurstange versehen. Die Schienenstöße wurden noch gelascht. G.A.A. Culin hatte sich aber nicht mit dieser umwälzenden Neuerung zufrieden gegeben. Er hatte noch viele weitere Patente auf seinem Namen laufen.

G.A.A. Culin war weiterhin bemüht, den Querschnitt der Schiene zu verbessern bzw. zu verstärken. Der Fuß wurde breiter, der Steg dicker, die Lauffläche und die Rillentiefe wurden auch verändert.

Ab 1894 wurde in Hamburg der elektrische Straßenbahnbetrieb aufgenommen. Die Stromrückleitung erfolgte über die Schienen des Gleises. Es gab durch die gelaschten Schienenstöße aber hohe Spannungsverluste, die durch Kabelbrücken teilweise behoben wurden. Professor Hans Goldschmidt erfand 1896 das Thermit®- Schweißverfahren. Es wurde bei der SEG um 1899 eingeführt. Somit waren die Schienen durchgehend für die Stromrückleitung geeignet und zudem wurde eine bessere Laufruhe der Wagen erreicht.

Straßenbahngleis in Reihensteinpflaster. Schienengewicht 59 kg/m.
Die Rillenschiene wurde in die aufgegrabene Straße gelegt, mit Distanzeisen wurde ein zuverlässiger Abstand der beiden Schienen zueinander gewahrt. Danach wurde das Schienenbett wieder mit Steinen zugepflastert. Später, bei zunehmenden Fahrzeuggewichten und Geschwindigkeiten, wurde der Untergrund mit Sand, Kies, Schotter und Schwellen verstärkt. Jeweils an den äußeren Schienenkanten wurden in Hamburg zwei große viereckige Steine gesetzt, die den Straßenbahnfahrern zeigen sollten, wie breit das Fahrzeug war. Ragte ein Fremdfahrzeug bis auf diese Steinbegrenzung hinein, so bestand Kollisionsgefahr.
Ein halbes Straßenbahngleis in Asphaltpflaster

Querschnitte von Rillenschienen

Die in Abb.2. gezeigte zweiteilige Rillenschiene wird als „Wechselsteg-Verblattschiene” bezeichnet. Die beiden einteiligen Rillenschienen weisen infolge der eingewalzten Rille einen unsymmetrischen Querschnitt auf, so dass Fußmitte und Kopfmitte nicht zusammenfallen. Daraus ergibt sich eine ungleichmäßige Verteilung des Bettungsdruckes. Die Verteilung wird durch die Flächen unterhalb der Schienenfüße verdeutlicht.

Quelle: Max Buchwald: Die Berechnung von Straßenbahn- und anderen Schwellenschienen, Berlin/Heidelberg,1913



Die Weichen bei der Hamburger Straßenbahn
Am Anfang des Pferdebahnbetriebs gab es bei der Gleisabzweigung keine Weichenzungen. Der Kutscher lenkte das Pferd rechtzeitig in die richtige Fahrtrichtung. Das Pferd zog den Wagen dann in die abzweigende Richtung. Bei den mit Dampflokomotiven betriebenen Straßenbahnen gibt es keine Zugpferde. Bei Einführung des Dampfbetriebs und des elektrischen Betriebs wurden deshalb Weichenzungen eingebaut.

Diese Weichen waren Federweichen, die von einer Feder immer wieder zurückgedrückt wurden, damit das Fahrzeug stets in das rechte Streckengleis fuhr. In der ersten Zeit wurde nur eine Weichenzunge eingebaut. Um eine bessere Laufeigenschaft in den Weichen zu erreichen, wurden bald zwei Weichenzungen eingebaut. Dazu wurde zwischen den Schienen ein Weichenkasten eingebaut, in dem mittels eines Gestänges die beiden Weichenzungen verbunden waren. Diese Weichen wurden von den Fahrern mit der Weichenstange gestellt.

Nach Ende des 1. Weltkriegs wurde die SEG von der Hamburger Hochbahn (HHA) übernommen.

Am 25. Februar 1926 wurden an der Straßenkreuzung Glockengießerwall mit Ernst-Merck-Straße die ersten elektrische Weichen von der HHA eingebaut und in Betrieb genommen. Im Laufe der Jahre wurden die elektrischen Weichenantriebe immer weiter verbessert. Bis 1939 waren 60 Weichen auf elektrischen Antrieb umgebaut.

Im Zweiten Weltkrieg Krieg wurden viele Weichen zerstört. Bis zum Jahre 1948 gab es wieder 30 elektrischen Weichen. Am 28. Juni 1954 wurde am Wandsbeker Marktplatz die 100. Weiche auf elektrischen Antrieb umgebaut. Solche Ausrüstung kostete etwa 6000 DM.

Ab 1926 erhielten alle Weichen Nummern. Sie wurde mittels einer Metallplatte im Straßenbelag kenntlich gemacht. Ab 1960 wurden einige Weichen mit elektrischer Heizung ausgerüstet.

Vor den elektrisch stellbaren Weichen waren im Fahrdraht 20 m vor der Weiche Isolierstücke in die Fahrleitung eingefügt. Dadurch konnten die Weichen vom Straßenbahnfahrer bei langsamer Fahrt in die gewünschte Richtung gestellt werden. Damit die Weiche nicht durch einen nachfolgenden Straßenbahnzug zu früh umgestellt werden konnte, wurde sie mit außenliegenden Federkontakten, die sich neben dem Fahrdraht befanden, verriegelt. Im ausreichenden Abstand hinter der Weiche war ein entsprechender Kontakt zur Entriegelung eingebaut. An den Haltequerdrähten der Fahrleitung hing in Höhe der Stellkontakte ein weiß/blaues „W”-Schild (W wie Weichenkontakt).[3] Über der Weichenzunge hing ein Kasten für die Anzeige der Weichenstellung. Bei eingleisigen Streckenabschnitten wurde durch den Fahrer über die Isolierstücke im Fahrdraht die Signalanlage für die Sperrung der Gegenrichtung ein- bzw. ausgeschaltet. Dieser Stellkontakt war durch ein blaues „S”-Schild gekennzeichnet (S wie Signalkontakt).

Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Straßenbahn für diverse Bauvorhaben, später für die Trümmerbeseitigung, eingesetzt. Um auf einfache Art vom Liniennetz abzuzweigen, wurden sogenannte „Kletterweichen” eingesetzt. Auch bei länger andauernden Gleisbauarbeiten wurde ein Gleis gesperrt, der Verkehr wurde über Kletterweichen auf das Gegengleis geleitet. Diese Kletterweichen wurden auf einfache Weise auf das liegende Gleis aufgelegt. Nur die Fahrleitung musste noch nachgerüstet werden.

Etwa im Jahre 1955 gab es im Hamburger Straßenbahnnetz 1270 Weichen. Davon waren 140 mit einem elektrischen Antrieb versehen. Um sie jederzeit funktionstüchtig zu halten, wurden sie fast täglich von Schmutz, Laub, Bremssand und im Winter zusätzlich von Schnee und Eis gereinigt. Dies geschah durch 7 Weichenspritzwagen mit jeweils zwei Mann Personal. Sie wurden vom Betriebshof Dorotheenstraße aus eingesetzt. Alle ständig befahrenen Weichen wurden täglich einmal, wichtige Weichen sogar 2 mal täglich, mit einem Wasserspritzgerät gereinigt. Hierbei wurde mit einem Wasserdruck von 3 bis 5 bar gearbeitet. Der Tank auf den Kleinlastwagen fasste 1,5 Kubikmeter.

Im Jahre 1970 waren noch rund 300 Weichen in Betrieb. Davon konnten 57 vom Fahrer elektrisch gestellt werden. 63 der wichtigsten Weichen waren mit einer elektrischen Weichenheizung ausgestattet, damit sie bei Eis und Schnee nicht blockiert werden.

Die rund 300 Weichen wurden von 8 Weichenschlossern instandgehalten. Mindestens einmal im Monat wurde jede Weiche auf ihren technischen Zustand untersucht.

Eine Weichenzunge hält etwa 15 Jahre. Andere Teile müssen häufiger ausgewechselt werden.

Die Abnutzung der Schiene war in den Kurven sehr groß. Deshalb wurden die abgenutzten Seitenflächen der Rille mit Auftragsschweißungen verstärkt. Anschließend wurden die Auftragsflächen durch Schleifen geglättet. Nun brauchten die Gleise erst ausgewechselt werden, wenn die Lauffläche ein bestimmtes Maß unterschritt.

Bei Gleiserneuerungen an viel befahrenden Kreuzungen bzw. Abzweigungen wurden die neuen Gleise in Segmenten vorbereitet. Beim Herzstück, das als Stahlblock mit den 4 Auflaufschienenstücken (weniger Rillentiefe) verschweißt wurde, wurde die Schienenrille danach eingeschliffen.

Diese Webseite basiert auf einer Ausarbeitung von Herrn Klaus Britsche nach Angaben von H.Landahl.[40] Soweit sinnvoll, wurde sein Text und einige der von ihm eingefügten Grafiken übernommen.


Fußnoten
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  • [1] Klaus Britsche schreibt, dass es sich um gusseiserne Schienen handelt. Ich halte dies für möglicherweise verkehrt: Die Wagen fuhren auf geschmiedeten Eisenschienen, die in kurzen Abständen mit dicken 4-Zoll-Nägeln auf hölzernen Langschwellen befestigt waren. Von diesen ersten Schienen kamen beim Umbau des Betriebshofes Wendemuth 1981 noch mehrere Meter zutage. Auf der Strecke hielten die leichten Schienen nicht lange, weil die Kutscher schwerer Lastfuhrwerke bald bemerkt hatten, dass man auf den Schienen der Pferdebahn besser vorankam als auf dem Straßenpflaster.[62, Seite 7]

  • [2] Im Jahr 1880 gelang es dem Ingenieur Franz Freudenberg beim Phönix in Laar (Duisburg-Ruhrort) erstmals, einteilige Rillenschienen zu walzen.Wikipedia, Phoenix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb, Abruf 2.3.2019. Siehe dazu auch Wikipedia, Philipp Fischer (Metallurg), Abruf 2.3.2019.

    Die Phönix-Actiengesellschaft Bergbau- und Hüttenbetrieb Laar b. Ruhrort war auf der Fachausstellung in der Straßenbahnhauptwerkstatt Falkenried 1897 als Aussteller vertreten.

  • [3] Klaus Britsche schreibt weiß/blaues W-Schild. Laut der aktuellen Straßenbahnbetriebsordnung ist es ein quadratisches blaues Schild mit dem weißen Buchstaben „W”. Somit sehen die beiden Schilder wie folgt aus:
    Straßenbahn Signalbild ST1 Straßenbahn Signalbild ST2
Letztes Upload: 10.07.2023 um 03:57:40 • Impressum und Datenschutzerklärung