Straßenbahnen in Hamburg:
1877: Der Samuelson'sche Dampftriebwagen
bei der Pferdeeisenbahn-Gesellschaft

Der Ingenieur und Publizist Wilhelm Heinrich Uhland (*11.1.1840 in Nordheim (Württemberg); †30.7.1907 Leipzig) verlegte u.a. das Buch, aus dem auf dieser Webseite das Vorwort und der Abschnitt über den Samuelson'schen Dampfwagen herausgezogen ist.

Es handelt sich dabei um den Samuelson'schen Dampfwagen, auf den sich die folgende Meldung aus den
Wöchentliche Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg, No. 89, Schönberg, den 13. November 1877 unter „Politische Rundschau” bezieht:

»Der Senat in Hamburg hat der Pferde-Eisenbahn-Gesellschaft die Genehmigung ertheilt, den nach dem Patent des Ingenieurs Samuelson in der Grums'schen Wagenfabrik erbauten Dampfwagen auf den Pferdebahnlinien einzustellen.«

Der weiter unten auf dieser Webseite unterhalb der Zeichnung hellblau unterlegte Text kommt in dieser Form im Original nicht vor.

DIE STRASSENBAHNEN, DEREN ANLAGE UND BETRIEB
einschliesslich

einer fasslichen Geschichte der bedeutendsten Systeme und eingehenden Untersuchung der verschiedenen Arten von Zugkraft, als: Pferdekraft, Dampf, Heisswasser und comprimirte Luft, sowie einer Beschreibung der verschiedenartigen Betriebsmaterialien und Aufstellung der Anlage- und Betriebskosten

mit spezieller Bezugnahme auf die
STRASSENBAHNEN IN GROSSBRITANNIEN
von
D. KINNAIR CLARK, C. I.,

Autorisirte deutsche Ausgabe,
durch Beifügung der neuesten Verbesserungen sowie der wichtigsten Strassenbahn- Anlagen Deutschlands erweitert,

herausgegeben von
W. H. UHLAND, Civil- Ingenieur
Leipzig 1886.

VORWORT.
Die Straßenbahnen haben sich nicht allein in den Metropolen diesseits und jenseits des Occans, sondern in neuerer Zeit auch in Städten mittleren Umfangs als unentbehrliches Verkehrsmittel eingeführt und damit die Aufmerksamkeit der Fachmänner wie der Laien in hohem Grade auf sich gezogen. Dessen ungeachtet fällt es dem Techniker schwer, sich über Einrichtung und Betrieb bestehender Anlagen von Strassenbahnen zu informiren, weil sich die Literatur über diesen Theil des Verkehrswesens meist zerstreut in Journalen vorfindet und nur wenige speciell diesen Gegenstand behandelnde Werke existiren.

Die Verlagshandlung glaubte deshalb vielfachen Wünschen zu entsprechen, indem sie eine deutsche Ausgabe des renommirten Werkes Clark, "Tramways" veranstaltete. Wie aus dem nachstehenden Inhaltsverzeichnis hervorgeht, enthält dieses Werk die eingehendste Beschreibung der wichtigeren Strassenbahnen aller Länder, welcher genaue Daten über Anlage- und Betriebskosten nebst instructiven Zeichnungen mit den nöthigen Details beigefügt sind. Dass das Original sich vorzugsweise mit den englischen Tramways beschäftigt, ist leicht begreiflich und auch vollkommen gerechtfertigt, weil die englischen Anlagen bis jetzt fast immer als Vorbild für die anderen gedient haben; um jedoch den etwas einseitig englischen Charakter des Originales zu modificiren, wurde die deutsche Ausgabe insofern wesentlich erweitert, als in derselben die neueren Anlagen Deutschlands beigefügt und überhaupt alle bemerkenswertheren Verbesserungen besprochen wurden, welche seit Erscheinen des Werkes im In- und Auslande gemacht worden sind. Besonders sind es auch die Resultate der Pariser Weltausstellung 1875, welche alle Berücksichtigung gefunden haben. Dass die normalspurigen Dampfwagen von Brown, Evrard, Ringhoffer und Weissenborn in das Werk aufgenommen wurden, erscheint dadurch gerechtfertigt, dass schon ganz ähnliche Wagen (Brunner, Rowan, Samuelson) für Straßenbahnen construirt worden sind und voraussichtlich diese Systeme bei der fortschreitenden Ausdehnung der Strassenbahnen auch auf diesen, wenn auch in etwas modificirter Form, zur Verwendung kommen werden.

Die vorliegende Arbeit unterscheidet sich demgemäss von der Originalausgabe nicht allein durch grössere Reichhaltigkeit im allgemeinen, sondern auch durch Vermehrung der Textfiguren und hauptsächlich durch gänzliche Umgestaltung und bedeutende Vermehrung der Tafelzeichnungen. Diese sind viel exacter ausgeführt, mit eingeschriebenen Maassen versehen und, der grösseren Genauigkeit in der Wiedergabe halber, durch Photolithographie reproducirt.

In dieser Form hofft der Herausgeber ein in jeder Beziehung zweckmässiges Handbuch zu bieten, das sich den Bedürfnissen der Praxis anpasst und dem Fachmann in vollem Umfange die Unterstützung gewährt, welche er von einem derartigen Werke erwarten kann.

Leipzig, im April 1880.

W. H. Uhland.


Arnold Samuelson, Hamburg.
aus DIE STRASSENBAHNEN, DEREN ANLAGE UND BETRIEB, Leipzig 1886
Der Radstand ist mit 2200 mm, die Gesamthöhe über Schienenoberkante mit 4450 mm angegeben. Die Gesamtlänge des Wagens dürfte ca. 7600 mm betragen haben.
Der gezeichnete Samuelson'sche Dampfwagen hat 35 Sitzplätze, davon 17 erster Klasse im unteren, 18 zweiter Klasse im oberen Wagen; ausserdem Stehplätze für etwa 6 Personen. Die Hinterachse ist bei einem leeren Wagen mit etwa 2000 kg, beim vollständig besetztem Wagen mit etwa 4500 kg belastet.

Die angewendete Dampfmaschine ist von gewöhnlicher Construction, mit der bei Locomotiven gebräuchlichen Kolbengeschwindigkeit. Die Uebertragung der Kraft auf die 900 mm Durchmesser habenden Triebräder findet nicht direct, sondern mittelst Zahnräder von 2:7 statt. Dieser patentirte Uebertragungsmechanismus hat den Zweck, eine elastische Verbindung zwischen der mit Dampfkessel und Maschine am Oberwagen montirten Kurbelwelle einerseits und der Triebachse anderseits herzustellen, damit ein sanftes Anfahren ermöglicht wird und die durch die Durchbiegung der Tragfedern entstehenden Schwingungen des Oberwagens nicht behindert werden. Die Uebertragung wird aus diesem Grunde durch zwei eigenthümlich verzahnte Räder bewirkt, von welchen das grössere nicht fest auf der Triebachse sitzt, sondern mittelst einer starken Spiralfeder an dieselbe angeschlossen ist. Das Zahnrad wird durch seitliche Blechstreifen auf der Achse centrisch erhalten und die richtige Entfernung der Triebachse von der Maschinenwelle durch zwei seitlich am Kurbelzapfen angreifende Schleifen hergestellt. Die Zähne des grösseren Rades sind etwas gewölbt, damit bei nicht ganz gleichmässiger Durchbiegung der linken und rechten Tragfeder das kleinere, etwas breitere, Zahnrad nicht auf die Kante des grösseren drückt. Dieser Mechanismus hat sich bei dem Dampfwagen auf der Hamburg – Wandsbecker Pferdebahnlinie bestens bewährt. Die Maschine fuhr mit Leichtigkeit durch die Curven und Weichen, auch war die Federung von angenehmer Wirkung.

Die Maschine hat gewöhnliche Kulissensteuerung und kann daher mit Expansion arbeiten; der Maximaldruck beträgt 12 At. Infolge der Construction des stehend angeordneten Dampfkessels bleibt der entweichende Dampf gänzlich unsichtbar und verursacht kein Geräusch.

Die Verbrennungsgase der Coaks mischen sich derartig mit dem ausströmenden wässerigen Dampfe, dass dieser vollständig verflüchtigt wird.

Die Speisung des Kessels erfolgt durch eine Dampf- und eine Handpumpe, welche beide für sich auf dem Vorderperron angebracht sind.

Die Fahrgeschwindigkeit beträgt im Maximum 20 km pro Stunde, was für die deutsche Meile ca. 22,5 Minuten ergebt. Bei dem Radumfang von 2,827 m entspricht diese Geschwindigkeit 118 Radumdrehungen pro Minute, also 413 Kurbelumdrehungen – für diese Maschine die naturgemässe Maximalzahl. In der Nähe der Städte würde man mit 15 km pro Stunde und auf städtischen Strassen noch langsamer, ca. 12 km pro Stunde, fahren.

Schliesslich möge noch bemerkt werden, dass der Dampfwagen auf der Endstation durch Drehscheibe oder schleifenförmige Schienenverbindung gewendet werden muss.

Einer der zwischen 1873 und 1877 getesteten Dampftriebwagen
Der von der Grum'schen Wagenfabrik gebaute Samuelson'sche Dampfwagen mit Beiwagen

Hinweise zu den verwendeten Quellen
Die Nachforschungen im Web erfolgten im Zeitraum vom 31.12.2016 bis zum 13.1.2017. Die gewonnenen Ergebnisse bzw. Erkennnisse werden nachfolgend aufgezählt.
  • Neues Adreßbuch der freien und Hansestadt Hamburg für das Jahr 1877, Einträge unter Samuelson: Samuelson, C.E., Marienthal, Stadtadresse bei Ernst Matthaei, Grimm 9, Bkto. N.D.B.
    -S.A., Ingenieur b. d. Stadt-Wasserkunst, Lindenstr. 20b. Bureau Bleichenbrücke 17.
    -Dr. Wwe. S., kl. Pulverteich, 19, II.
    Getrennter Eintrag:
    Ernst Matthaei, Kaufmann, Grimm 9, Wohn. Wandsbecker Chaussee 114

  • In der Deutschen Digitale Bibliothek findet sich ein Hinweis, der darauf schließen lässt, dass S.A. Samuelson das Dampfwagenpatent beantragt hat. Der Eintrag lautet: Patent des Samuel Arnold Samuelson in Hamburg auf einen eigentümlichen Bewegungsmechanismus für Dampfwagen.

  • In www.glass-portal.privat.t-online.de steht sich eine kurze Biografie zu S.A.Samuelson. Ich vermute, dass er ein Sohn des damaligen Amtsverwalters in Ritzebüttel (Cuxhaven) war.
    Eine belegbare Bestätigung für eine Beziehung zwischen C.E. und S.A. Samuelson habe ich nicht gefunden.

  • Einige Beschreibungsfragmente über den Samuelson'schen Dampfwagen habe ich in archive.org gefunden. Das darin enthaltene Textdigitalisierungsergebnis des Buches
    DIE STRASSENBAHNEN, DEREN ANLAGE UND BETRIEB von D. KINNAIR CLARK, C. I., Autorisirte deutsche Ausgabe, durch Beifügung der neuesten Verbesserungen sowie der wichtigsten Strassenbahn- Anlagen Deutschlands erweitert, herausgegeben von W. H. UHLAND, Civil- Ingenieur, Leipzig 1886
    ist leider reichlich mit Scanfehlern bestückt. Glücklicherweise gibt es das Buch auch als PDF-Datei in archive.org (Abruf 15.1.2023).
    An anderer Stelle im Buch wird ein von S.A.Samuelson entwickeltes Gleissystem für Straßenbahnen beschrieben.

  • In den „Wöchentliche Anzeigen für das Fürstentum Ratzeburg” unter
    http://wafr.lbmv.de/show.php?action=1877-11-13
    findet sich auf Seite 1 ein Beleg dafür, dass der Dampfwagen in der Grum'schen Wagenfabrik erbaut wurde.

  • Beide Fotoreproduktionen: 48, Tafel 17 Die zugrundeliegenden Fotos werden „um 1875” datiert.
Letztes Upload: 25.03.2023 um 04:48:37 • Impressum und Datenschutzerklärung