Straßenbahnen in Hamburg:
Die Hamburger Pferde-Eisenbahn
aus dem Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens Ausgabe 4. 1867

Hinweise:
Quelle: Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens,
Ausgabe 4/1867, Artikelbeginn auf Scanseite 60 von 372
Zugehöriger Permalink: https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb10479910 Direktlink zum Beginn des Originalartikels in www.digitale-sammlungen.de
Der Originalartikel umfasst fünf JPG-Dateien und beinhaltet die Scanseiten 60, 61, 62, 318 und 319. Die im Text genannten Abbildungen sind in den Scanseite 318 und 319 enthalten. Einige dieser Abbildungen habe ich zusätzlich ganz oder beschnitten in den Text eingefügt.

Der Verfasser des Originalartikels steht im Hamburgischen Adressbuch für 1868 als „J.O.Gallois, Ingenieur, Feldstr. 45”. Außerdem erscheint er als Verfasser von „Inventar der Gaswerke in Hamburg. 1.Januar 1901” z.B. bei Amazon. Ein Suchergebnis bei der ETH Zürich über Faschinenwerke verrät seinen Vornamen als „Johann Otto”.

Abkürzungen:

  • „Rad.” bedeutet „Radius”,
  • „Dm.” bedeutet „Durchmesser”,
  • „Pfd.” bedeutet „Pfund”.

Das Apostroph hinter den Längenangaben ist die Längeneinheit zumeist in „Hamburger Fuß”. Ein Hamburger Fuß ist 286,5 mm lang. An einigen Stellen wird zusätzlich auf dass englische Fuß hingewiesen. Das doppelte Hochkomma kennzeichnet die Längeneinheit Zoll.

Änderungen gegenüber dem Originaltext: Im Originaltext werden an einigen Stellen Gedankenstriche anstelle von Absätzen verwendet. Zugunsten einer besseren Lesbarkeit habe ich anstelle der Gedankenstriche Absätze eingefügt.

Zur Verbesserung der Lesbarkeit werden einige im Originaltext unübersichtliche Aufzählungen hier in Listenform gezeigt.

Fußnoten werden gegenüber dem Originaltext abweichend behandelt, denn sie erfordern bei der Webdarstellung einen Rücklink.

Die Hamburger Pferde-Eisenbahn.

Mittheilung des Ingenieurs J.O.Gallois in Hamburg.
Hierzu Taf. VII. Fig. 1-15.

Im Anschluss an frühere im Organ veröffentlichte Notizen über Pferdeeisenbahnen in Städten mögen nachstehend einige Angaben über die Hamburger Pferdebahnen ihren Platz finden.

Der Verfasser hatte, als im letzten Sommer diese Bahn im Bau befindlich, vielfach Gelegenheit, Notizen zu sammeln, Detail - Constructionen zu skizziren und aufzumessen etc., welche für ähnliche Anlagen vielleicht mit Vortheil zu verwenden wären.

Zur Verbindung Hamburgs mit dem holsteinischen Flecken Wandsbek, den hamburger Dörfern Barmbeck und Eimsbüttel und mit der Uhlenhorst sind 2 Hauptfahrrouten projectirt, nämlich: [1,]

I.Hamburg - Wandsbeck; Hauptlinie vom Rathhausmarkt in Hamburg bis zum Zoll in WandsbeckLänge ca.25500' hamb.  (7320 m)
1.Zweiglinie nach Barmbeck; von der Hauptlinie I. auf ca. 10100' (vom Rathhausmarkt an gerechnet) abzweigendca.9500' hamb.  (2727 m)
a.Zweiglinie nach der Uhlenhorst von der Zweiglinie 1. auf ca. 4800' (von deren Beginn an) abzweigend.ca.6000' hamb.  (1723 m)
2.Zweiglinie im Flecken Wandsbeck, nach dem Bahnhofe der direct. Hamburg-Lübecker Bahn führend von der Hauptlinie I. auf ca. 20500' (von dem Beginn an) abzweigendca.3600' hamb.  (1034 m)
3.Verbindungslinie zwischen I. und 2. in Wandsbeckca.800' hamb.   (230 m)
Zusammen ca.45400' hamb. (13030 m)
II.Hamburg - Eimsbüttel; Hauptlinie vom Rathhausmarkt in Hamburg bis zum Marktplatz in Eimsbüttelca.17600' hamb.  (5050 m)
Total ca.63000' hamb. (18080 m)

Von vorstehend aufgeführten Linien sind bis jetzt[2,] ausgeführt und dem Betrieb übergeben die Strecken I. 2. und 3., zusammen ca. 30000 Fuss; die übrigen Linien befinden sich theils im Bau, theils werden dieselben demnächst in Angriff genommen. Sämmtliche Linien sind eingleisig.

Auf dieser ausgeführten Strecke befinden sich 16 Ausweichen. von denen 10 einfache zum Vorbeipassiren der sich begegnenden Wagen und 6 stellbare (Zungenweichen) zum willkürlichen Einlenken in ein oder das andere Geleise.

Dieselben haben Curven in 180' hamb. (140' 111/2" engl.) Rad. und sind die einfachen Weichen 250' (234' 111/8" engl.) lang; die Construction dieser Weichen zeigt Tafel VII. Figur 3.

Die im Hauptstrange vorkommenden Curven haben 100', 125' und 250' Rad. als kleinste Dimension, ausnahmsweise kommt jedoch eine Curve von 80' Rad vor, im welcher jedoch langsam gefahren wird; zu bemerken ist noch, dass der Uebergang aus den Geraden in die Curve allemal durch sogenannte Uebergangscurven vermittelt wird. Es findet, wie die Rechnung ergiebt, bei der angewandten Ueberhöhung der äusseren Curvenschiene bei 150' Rad. eine vollständige Abwicklung statt. Weil die Bahn auf ihrer ganzen Länge in befestigtem Boden (Pflaster oder Chaussee) von vollständig regulirten Profil gelegt wurde, so konnten keine Gefällscorrecturen vorgenommen werden und wechseln die Gefälle zwischen 1: und 1:42, welche stärkste Steigung jedoch noch gut überwunden wird.

Fig.1: Grundriss des Oberbaus (Bild beschnitten)

Was den Oberbau im Speciellen anbelangt, so beträgt das Spurmaass 5' hamb. (4' 81/2" engl.). Die Construction: Lang- und Querschwellen. Letztere liegen auf 4' engl. Entfernung, gemessen von Mitte zu Mitte, von einander. Erstere auf 4' 8" von Mitte zu Mitte von einander.

Fig.12 und 13: Querschnitt des Oberbaus, Stoßstelle mit großem Befestigungswinkel (Bild beschnitten)

Die Querschwellen haben 63/16" * 63/16" engl. Querschnitt bei einer Länge von 6' 7" engl. (7' hamb.). Auf ihnen sind die Langschwellen ca. 16 ‒ 26' lang 4" breit und 63/16 hoch (alles engl. Maass), durch große und kleine gusseiserne Winkel befestigt und zwar sind die großen Winkel nach aussen und an den Stössen der Schwellen, die kleinen im Innern angewandt. Die Stösse der Langschwellen sind einfach seitlich überblattet und aussen durch Befestigungsnägel der Winkel nicht weiter mit einander verbunden.

Auf den Langschwellen sind die 1" hohen und 4" breiten Schienen aufgenagelt. ― Das Gewicht eines großen Winkels beträgt 2,445 Pfund engl., das eines kleinen Winkels 0,66 Pfund engl.; das der Winkelnägel bei 3/8" Dicke und 35/8" Länge pro Stück = 0,11225 Pfund.

Fig.4, 5 und 6: Die drei Fahrschienenprofile der ursprünglichen Hamburger Pferdebahn Was die Fahrschiene anbelangt, so werden 3 verschiedene Profile angewandt. (Siehe Figur 4,5,6.) Figur 5 im Pflaster, Figur 6 in Chaussee und Figur 4 als äussere Curvenschiene. Das Material zu den Schienen ist gutes Holzkohleneisen, die Köpfe Puddelstahl. Es wiegt die Pflasterschiene pro Fuss engl. 8,9516 Pfund, die Chausseeschiene 9,09 Pfund, die Flachschiene 11,5 Pfund.

Um aus den Grubenschienen in die Flachschienen überzugehen, ist in letztere eine auslaufende Rille von 11/2' eingemeisselt.

Die Weichenstücke und Herzstücke sind aus Hartguss; erstere 9' 6" (engl.) lang, liegen auf besonders zugehauenen Hölzern (s. Fig. 10, 11, u. 9) von 4,74 Cubikfuss Inhalt; letztere kommen in 3 Längen vor:

  • 1) Schnitt zweier Geraden unter einem Winkel von 12° 5' engl. lang.
  • 2.) Schnitt einer Geraden mit Kurve von 100' Rad. Länge = 4' engl.
  • 3.) Schnitt einer Geraden mit Curve von 150' Rad. Länge = 4' 6" engl. Diese Herzstücke ruhen ebenfalls auf Klötzen von 7' Länge (s. Fig. 11) von ca. 2,75 Cubikfuss Inhalt.
Die Zungenweichen endlich sind ebenfalls aus Hartguss mit Stahlzungen.

Was die Gewichte anbelangt, so sind dieselben folgende:

  • Weichenstück von 100' Rad. = 168 Pfd.,
  • dito von 150' Rad. = 2021/2 Pfund,
  • durchschnittlich = 177 Pfund pro Stück;
  • Herzstück normal von 12° = 108 Pfd.,
  • Gerade mit Curve von 100' Rad. = 92 Pfd.;
  • Gerade mit Curve von 150' Rad. = 123 Pfd.,
  • durchschnittlich = 112 Pfd, pro Stück.
  • Zungenweiche incl. Mechanismus, der sehr einfach ist (aus Gusseisen) und mittelst eines eingesteckten Hebels regiert wird, fertig montirt 420 Pfd. pro Stück,
  • ohne Mechanismus circa 200 Pfd. Dieser Mechanismus liegt vollständig unterm Pflaster in einem Holzkasten; der schmiedeeiserne Stellhebel wird beim Gebrauche durch einen mit eisernem Schieber versehenen Schlitz eingesenkt.
Die Gesellschaft der Pferdebahn ist verpflichtet, ausser der Auspflasterung resp. Chaussirung zwischen der Schienen auch seitlich derselben das Strassenbefestigungs- Material auf ihre Kosten zu unterhalten, unter Controle der Strassenbau-Behörden. Das Maass dieser Seitenstrecke ergiebt sich aus dem Querschnitte (Fig. 2). Für die Unterhaltung des Streifens zwischen den Schienen auf Chausseen hat die Gesellschaft eine eigene Walze giessen lassen, welche das genaue Profil des Strassenkörpers besitzt bei einem Sprurmaasse von 4' 71/2 engl.
Die Wagen, sehr elegant und comfortable eingerichtet, werden in der Lauenstein'schen Wagenfabrik gebaut und haben analog derjenigen der Berlin-Charlottenburger Pferdebahn einen inneren, geschlossenen Raum, zwei äussere Perrons und einen Decksitz, welcher mittels zweier auf den Perrons befindlicher Wendeltreppen erstiegen wird. Die Hauptdimensionen sind folgende:
  • äußere Bereite des Wagenkastens 6' 10",
  • Räder-Durchmesser 21/2',
  • Radstand 6'
  • lichte Höhe des Wagenkastens 7',
  • Länge 15' 2".
Die Perrons an beiden Enden, an denen die Auftritte 11/2' über Schienenhöhe angebracht sind, haben 5' 9" Breite und 3" Ausladung. Sonach beträgt dir Totalwagenlänge ohne Deichsel = 23' bei einer äusseren Breite von 7' und einer Höhe (von Schienenoberkante bis Decksitzfussboden) von 9'.

Die Wagen sind durchweg von Holz erbaut, die zwei Längsbalken (Träger) an beiden Seiten mit je einer 1/2" starken, 4" hohen Eisenschiene verstärkt, sie tragen die Perrons und sind durchgehend. An jeder Langseite des Wagens befinden sich 8 Fenster mit Jalousien, nach unten zu in die Wand einschiebbar zum Schutz gegen das Sonnenlicht. Die Thüren (an beiden Enden befindlich) werden ebenfalls der Raumersparnis halber beim Oeffnen in die Wand eingeschoben.

Da die Wagen symmetrisch sind, so findet an den Endstationen kein Umwenden statt, sondern geschieht das Rückfahren einfach durch Umhängen der Deichsel, die sehr leicht construirt sind und bequem vom Kutscher regiert werden können. Ausser dem Kutscher ist nur ein Conducteur (auf dem hinteren Perron) anwesend, der ausser das Einsammeln des Fahrgeldes auch die Bremse zu regieren hat. Die Bremsvorrichtung (einfache Hebelübersetzung mit Schraube) bremst alle Räder gleichzeitig und steht der Wagen auf 10 Schritt (bei voller Fahrt), Die Achsen sind aus Gussstahl 37/8" stark, die Federung aus Kautschuk wie bei den neueren amerikanischen Bahnen.

Das Eigengewicht des Wagens ist ca. 6000  Pfund. Der Fassungsraum:

  • Innen 20 Personen,
  • auf Deck 28 Personen,
  • auf dem vorderen Perron 3, auf dem hinteren 7 Personen,
  • zusammen also 58 Personen.
An besonders frequenten Tagen sind jedoch schon über 100 Personen mit je einem Wagen befördert bei der gewöhnliche Bespannung von 2 Pferden.

Auf der im Betrieb befindlichen Strecke fahren alle 12 Minuten 1 Wagen; d. h. pro Tag 144 Touren, die Fahrzeit beträgt ca. 50,000' pro Stunde[3,] incl. Aufenthalt beim Ein- und Aussteigen, welches an jedem beliebigen Punkte stattfinden kann. Bis jetzt sind 18 Wagen in betrieb. Die Kosten eines Wagens betragen ca. 2000 Thlr.[4,]

Neuerdings sind einige vierrädrige Güterwagen mit 6' Radstand construirt, welche von einem Pferde gezogen, alle Arten Güter, namentlich Reisegepäck der Passagiere des Personenwagens befördern, ausschliesslich Briefe, welche laut Gesetz nicht befördert werden dürfen. Diese Wagen sind vorläufig nur zum Versuch in Betrieb gesetzt.

Die 25500' lange Strecke zwischen Hamburg und Wandsbeck wird von jedem Pferde vier Mal täglich zurückgelegt. Jeder Kutscher hat mit Hülfe eines Stallknechtes 8 Pferde zu bedienen, die er, wenn dieselben im Stalle, vollständig zu besorgen hat; auf der Fahrt wird der zweispännige Wagen nur von einem Kutscher bedient. Der auf dem hinteren Perron befindliche Conducteur hat mit den Pferden weiter nichts zu thun, als dass er beim Umspannen dem Kutscher Handreichungen thut.

Der auf der Endstation im Flecken Wandsbeck befindliche Wagenschuppen hat für 24 Wagen Platz (18 sind augenblicklich erst vorhanden), je 8 auf einem Schienenstrang hintereinander. In diesen Schuppen fahren zur Nachtzeit alle Wagen und zwar so, dass die Wagen bis dicht vor die Rollthüren von den Pferden gezogen werden, das weitere Rangiren geschieht alsdann von Hand durch einen Mann.

Die Schienenschaufel. Ihr Blatt ist ca. 250 mm lang und 114 mm breit. Die Blechdicke beträgt 3,1 mm
Auf je ca. 3000' Schienenlänge ist ein Bahnwärter angestellt, der mit einer Schienenschaufel (Fig. 15) und Signalflagge (Abends Kugellaterne) versehen, zugleich die Schienen rein zu halten und die auf auf seiner Strecke befindlichen Zungenweichen zu stellen hat. Die gewöhnlichen Ausweichen erfordern, wie oben bemerkt, keine Stellvorrichtung.

An den Straßenkreuzungen dienen die Glockensignale (vom Wagen aus) für die anderen Fuhrwerke, nur an der Bergstrasse ist ständig ein Wärter postirt, weil hier ein ganz enormer Wagenverkehr (unter Anderm 4 Omnibuslinien) die Bahn kreuzt und die Bergstrasse nach der Bahn zu, von der Petrikirche her ein Gefälle von ca. 1:25 hat, also ein schnelles Anhalten der Wagen schwer zu erreichen ist.


Fußnoten
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  • [1] Die in Rundklammern () gesetzten metrischen Längenangaben sind großzügig gerundet. Sie sind kein Bestandteil des Originaltextes sondern sie wurden hinzugefügt.

    [2] Die erste Strecke der Hamburger Pferdeeisenbahn ging am 16.8.1866 in Betrieb. Sie verband den Hamburger Rathausmarkt mit dem Wandsbeker Zoll. Der Artikel erschien nur einige Monate später im folgenden Jahr.

    [3] Ins metrische System umgerechnet sind dies 14,325 km/h.

    [4] 2000 Taler (=6000 Mark) im Jahre 1867 haben die Kaufkraft von ca. 75000 € im Jahre 2023.[Kaufktraftvergleich]
Letztes Upload: 25.03.2023 um 04:48:36 • Impressum und Datenschutzerklärung