Der Bildhauer Richard Kuöhl:
Biografie des Bildhauers bis 1912 — die Jahre in Meißen, Dresden und Berlin

Auf dieser Seite werden die Jahre vor der Übersiedlung Richard Kuöhls nach Hamburg genauer beleuchtet. Es sind seine Jahre in Meißen und in Berlin.

Dazu werden Teile aus der kurzen Biografie auf der vorhergehenden Seite abschnittsweise einem Artikel aus einer zeitgenössischen Kunstgewerbezeitschrift gegenübergestellt. Es handelt sich dabei um das Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine: Fritz Hellwag: Richard Kuöhl, Zeitschrift Kunstgewerbeblatt, XXII. Jahrgang, Leipzig 1911, Seiten 161 bis 169.

Der Artikel ist mit über 40 Fotos und Skizzen bebildert.

Kunstgewerbeblatt, XXII. Jahrgang, Leipzig 1911

Aus der kurzen Biografie der vorherigen Seite:

Richard Kuöhl wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf und verlor früh seine Vater.[ 226, Stichwort Richard Kuöhl]

Nach einer handwerklichen Ausbildung als Kunsttöpfer in der Keramischen Modellfabrik Meißen (1896-1900) und Tätigkeit als Angestellter (bis 1902) in seiner Geburtsstadt Meißen in Sachsen studierte er von 1902 bis 1905 an der Dresdner Kunstgewerbeschule in der Klasse des angewandten Bildhauers Professor Karl Groß.

Zeitgenössischer Zeitschriftenartikel: Materielle Umstände zwangen den Knaben Kuöhl, in der Meißener Ofenindustrie Unterkunft und Broterwerb zu suchen. Offenbar wurden dort seinerzeit die Lehrlinge als Handlanger ausgebeutet. Sie mussten sich um lehrreiche und fördernde Arbeit selbst bemühen. Richard Kuöhl gelang es. Nach Ablauf der Lehrzeit ergatterte er in seiner Lehrfirma eine Anstellung als Gehilfe. Sein Wochenlohn betrug klägliche 12 Mark. Zum Vergleich: Ein ungelernter Arbeiter verdiente damals etwa 27 Mark pro Woche. Dennoch gelang es Kuöhl, soviel Geld übrig zu haben, dass er nach zwei Jahren die Dresdner Kunstgewerbeschule in der Klasse des Professors Karl Groß beziehen konnte. Hier erhielt er eine gute spezielle und allgemeine Ausbildung, Bald war das ersparte Geld aufgebraucht, Kuöhl ging nach Meißen zurück und musste froh sein, bei seinem früheren Lehrmeister eine karg bezahlte Arbeit zu finden.

In Dresden tagte der Kunsterziehungstag. Es ging um die Kunst im Leben des Kindes. Dies Ereignis regte Kuöhl an, kindgerechtes Holzspielzeug zu basteln. Ein kleiner Tischler im Meißen übernahm die geschäftsmäßige Fertigung.

Anmerkung: Der Zeitschriftenartikel enthält Fotos einiger dieser Holzspielzeuge. Die Fotos zeigen verschiedene rollbare Holzspielzeuge auf Rädern. Deren Körper stellen Tiere wie Ente, Schildkröte, Salamander und Grashüpfer dar. Wenn die Räder sich drehen, führen die Holzfiguren Bewegungen aus. Später hat Kuöhl eines der Holzspielzeuge in einer Mädchenstatue als Motiv verwendet.


Aus der kurzen Biografie der vorherigen Seite:

1906 war er leitender Modelleur an der bauchemischen Versuchsanstalt Dr. Julius Bidtel in Meißen (Bidtelia Glasuren und Farben, wetterbeständige Glasuren für Baukeramik). Hier machte er sich mit modernen Methoden der Tonbearbeitung vertraut und experimentierte mit großformatigen farbig glasierten Terrakotten. Er fertigte kunstgewerblichen Schmuck und Holzspielzeug. Sein Holzspielzeug brachte ihm 1906 eine Silbermedaille bei der Dresdner Kunstgewerbeausstellung (Leiter Fritz Schumacher).

Bereits 1906 zog er nach Berlin.[209, Nachwort Seite III] Für die Firma Otto Schulz entwarf er Bronzegegenstände, für Richard Mutz Keramiken. Anschließend erwarb er einen guten Ruf durch seine Mitarbeit bei Architekten und Bildhauern, u.a. bei Hugo Lederer.

Zeitgenössischer Zeitschriftenartikel: In der bauchemischen Versuchsanstalt Dr. Julius Bidtel werden alle neuen Materialien erprobt. Dazu werden künstlerische Modelle in allen geeigneten Materialien ausgeführt und den Interessenten dargestellt. Kuöhl lernte dadurch alle Materialien von Grund auf kennen und mit seinem Instinkt zu beurteilen, welche Form und technische Behandlung ihnen angemessen ist. In dieser Zeit entwarf Kuöhl zahlreiche Modelle aller Art, besonders in Keramik und Bronze. Die Bronzemodelle wurden von der Firma Otto Schulz in Berlin zur Ausführung erworben und bald siedelte Kuöhl nach Berlin über, um sich ganz dieser Firma zu widmen.

Kuöhl erhielt für das Dresdner Spielzeug und für seine Berliner Bronzearbeiten auf der „Dresdner Kunstgewerbeausstellung 1906” die große silberne Staatsmedaille.

Aber seine wirkliche Berufung fand Richard Kuöhl erst, als er begann, in Stein zu arbeiten.

Anmerkung: In der Literatur steht ziemlich pauschal, dass Kuöhl nach Berlin zog. Anderseits wird sein Name im Zusammenhang mit Wilmersdorf und seltener mit Friedenau in Verbindung gebracht. Tatsächlich wurden die Städte Wilmersdorf und die unmittelbar angrenzende kleinere Neubaustadt Friedenau erst 1920 zu Teilen der Stadtgemeinde Berlin (Gesetz vom 27.4.1920).

Der Kaiserplatz wurde 1950 in Bundesplatz umbenannt. Entsprechend findet sich die damalige Kaiserallee im Bereich Friedenau als Bundesallee im jetzigen Berliner Stadtplan. Richard Kuöhl konnte den Weg zwischen seinen beiden unter 1911 genannten Adressen in wenigen Minuten zu Fuß bewältigen. Auch die weiter unten erwähnte Kirche „Zum Heiligen Kreuz” war in weniger als 2 km Entfernung vom Kaiserplatz aus fußläufig erreichbar.

Bei der „Firma von Otto Schulz” handelt es sich wohl um eine Bronzewarenfabrik. Ihr Inhaber war möglicherweise der Medailleur Otto Schulz (*16.12.1848; † 13.8.1911 Berlin).


In Berlin: Zusammenarbeit mit Architekten

An der Gestaltung mindestens dreier Gebäude war Richard Kuöhl während seiner Jahre in Berlin beteiligt:

ArchitektBauzeitGebäudeLink oder Bemerkungen
Heinrich Straumer1907-
1908
Altlutherische Kirche Zum Heiligen Kreuz in Wilmersdorf, Nassauische Straße 17-19Siehe weiter unten auf dieser Seite
Gemeindenbaurat
Hans Altmann
1908-
1910
Rheingau-Schule in FriedenauRheingau-Schule
Heinrich Straumer1912-
1913
U-Bahn-Station Thielplatz, nördliches ZugangsgebäudeU-Bahn-Station Thielplatz

Die Altlutherische Kirche „Zum Heiligen Kreuz” wurde am 11.10.1908 eingeweiht. Sie ist jedoch hier nicht mit Fotos beschrieben: Sie wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Der Wiederaufbau erfolgte in stark vereinfachter Form. Die von Kuöhl geschaffenen Skulpturen außen am Kirchenportal wurde dabei nicht wieder hergestellt. Auch im Kirchensaal ist nichts mehr von Kuöhls Beiträgen zu sehen. Die Kirche in der jetzigen Form ist in der deutschen Wikipedia dokumentiert.[Suchbegriff: Kirche Zum Heiligen Kreuz Wilmersdorf] Nur wenige Jahre später baute die Konkurrenz in Wilmersdorf eine Kirche ähnlichen Namens: Es ist die römisch-katholische Heilig-Kreuz-Kirche in Wilmersdorf.

Zeitgenössische Zeitschriftenartikel über die altlutherische Kirche „Zum Heiligen Kreuz” Wilmersdorf:

Mindestens zwei Zeitschriftenartikel befassten sich 1909 mit dieser Kirche. Es sind

Beide Artikel kritisieren einen Stillstand in der Architektur der Kirchen und heben die Gestaltung der altlutherische Kirche „Zum Heiligen Kreuz” besonders hervor.

Die Kirche wird als Wohnhauskirche bezeichnet, denn sie bildet mit den links und rechts neben ihr gleichzeitig errichteten Mietshäusern ein gemeinsames Gebäude. Die Mietzinseinnahmen sollten die Kirche finanzieren.

Beide Artikel sind umfangreich mit Fotos versehen. Aus den Bildunterschriften geht hervor, wer die Kunst an und in dieser Kirche geschaffen hat:

Als Architekt wird der in Berlin ansässige Architekt Heinrich Straumer (*7.12.1876 Chemnitz; †20. oder 22.11.1937 Berlin) genannt. Bei zwei Grundrisszeichnungen ist Martin Schreiber (*10.5.1869; †?) vermerkt. Er hatte einige Zeit mit Heinrich Straumer zusammengearbeitet. Entsprechend wurde in den zeitgenössischen Fachzeitschriften an einigen Stellen der Hinweis „vormals Schreiber und Straumer” gemacht.
Letztes Upload: 09.07.2023 um 08:04:58 • Impressum und Datenschutzerklärung