London's Underground:
1890 ging die erste elektrische U-Bahn in Betrieb

Tower Hill Station, Sonnenuhr: Die erste Röhrenbahn
Eine Romanfigur in Edward Rutherfurds 1997 erschienenen London-Roman sagt im Kapitel „Cutty Sark”:

If we went deep down, maybe 40 feet, the clay down there is easy to cut through. But it would be utterly impossible to run a steam train through such a tube. The trains will be electric.

Frei übersetzt: „Wenn wir tief hinuntergingen, vielleicht auf 12 Meter, kann der Ton dort unten leicht durchdrungen werden. Aber es wird völlig unmöglich sein, einen Dampfzug durch eine solche Röhre fahren zu lassen. Die Züge werden elektrisch sein.”

Nach der Kreidezeit hinterließ ein tropisches Meer über den Kreideablagerungen vergangener Meere weiche Ablagerungen. Diese Ablagerungen liegen als sogenannter „Londoner Ton” unter der Erdoberfläche. Bedeckt werden sie von 10 bis 15 m mächtigen Kies- und Sandablagerungen aus späteren vorzeitlichen Überschwemmungen.

Die Londoner U-Bahn wird auch tube (Röhre) genannt. Die Röhren wurden in den überwiegend lehmigen Londoner Untergrund gebohrt. Der Tonboden Londons, der in einer Tiefe zwischen 10 und 15 m beginnt, sichert völlige Trockenheit bis zu beliebiger Tiefe. Somit konnten die Untergrundbahnen ohne bedeutende Schwierigkeiten auf 20 bis 30 m Tiefe gelegt werden, mussten aber nun Personenaufzüge erhalten.

Möglichst wurden die Strecken zwischen den Haltestellen so verlegt, dass die Haltestellen höher lagen als die Tunnelstrecke dazwischen — das bringt zusätzliche Beschleunigung beim Anfahren und umgekehrt eine Bremswirkung vor dem Halt in der nächsten Station.

Als erste elektrische Vollbahn und gleichzeitig als die erste wirkliche Röhrenbahn der Welt gilt die City & South London Railway C&SLR, ursprünglich benannt als City of London & Southwark Subway. Sie nahm am 4.November 1890 den Betrieb zwischen Stockwell und King William Street (nahe Monument) auf. Kenner Londons erkennen aus dieser Streckenführung, dass die Themse dazu untertunnelt werden musste. Die Röhrentunnel hatten knapp 3,2 m (je nach Streckenabschnitt 10 Fuß plus 2 Zoll oder plus 6 Zoll) Durchmesser. Die ersten Stationen der Linie wurden oberflächenplatzsparend eingerichtet. Sie waren über hydraulisch betriebene Fahrstühle zugänglich.

Lokomotive der City & South London Railway, Modell im London's Transport Museum
Diese Lokomotive Nummer 13 der City & South London Railway wurde 1908 aus dem Verkehr gezogen und 1923 dem Londoner Science Museum anvertraut.

Die zweiachsigen Lokomotiven des Herstellers Beyer Peacock mit elektrischer Ausrüstung von Mather &  Platt hatten 12 Tonnen Gewicht. Ihre Maße waren 14 Fuß Länge, 6,5 Fuß Höhe und 8,5 Fuß Breite (4,27 m Länge, 1,98 m Höhe und 2,59 m Breite). Jede ihrer beiden Achsen wurde von einem 50 PS starken Elektromotor direkt (also ohne Zwischenschaltung eines Getriebes unmittelbar) angetrieben. Nur die Lok 22 wurde 1912 mit zwei 120 PS starken Motoren und Getriebe hochgerüstet. Die Stromzuführung erfolgte über eine Stromschiene zwischen den beiden Schienen des Gleises. Im Laufe der Jahre wurden genau 54 dieser Lokomotiven bei verschiedenen Herstellern beschafft. So wurden die Loks 15 und 16 von Siemens gebaut. Die meisten Loks wurden von Crompton gebaut.

Die Lokomotiven bewährten sich gut, obwohl die Strecke für Kabelbetrieb mit starken Steigungen trassiert war und obwohl die Wagen ein höheres Gewicht hatten, als in der Planung vorgesehen.

Die Lokomotiven zogen drei Wagen mit einer Geschwindigkeit 40 km/h auf ebener Strecke. Die Lokomotiven besaßen Handbremsen und für den gesamten Zug Luftdruckbremsen. Der Luftdruckbehälter wurde in der Station Stockton aufgefüllt. Die Loks 1 bis 14 hatten gerade Seitenwände. Die Loks ab Nummer 20 hatten leicht bauchige Seitenwände, so dass die Luftdruckbehälter mehr Platz hatten. Im dem obersten Bild auf dieser Seite ist der Bremsluftschlauch zwischen Lokomotive und Wagen zu erkennen. bis 14 hatten gerade Seitenwände. Im dem obersten Bild auf dieser Seite ist der Bremsluftschlauch zwischen Lokomotive und Wagen zu erkennen. Er befindet sich in Dachhöhe.

An den Endstationen wurde für die Rückfahrt eine andere Lokomotive vor die Wagen gekoppelt — das sparte gegenüber einem Lokomotivumlauf Zeit.

Padded Car der 1. Wagengeneration der City & South London Railway, Modell im London's Transport Museum
Die Züge bestanden aus bis zu drei Drehgestellwagons. Als Durchschnittsgeschwindigkeit wird 11,5 Meilen pro Stunde angegeben. Die Wagen hatten keine seitlichen Türen. Sie hatten an einem Ende eine Gitterplattform. Auf der Gitterplattform am Wagenende stand der Gateman. Er rief den Stationsnamen aus und öffnete das Gitter für die Fahrgäste. Diese Wagen sind nur 27 Fuß (8,2 m) lang und wiegen nur 7 Tonnen. Insgesamt wurden 165 Wagen beschafft.
Aus der Illustrated London News vom 8.11.1890: Ein Zug der City & South London Railway. Das Bild ist bezeichnet mit „ELECTRIC RAILWAY TRAIN”.
Zwischen den Beiwagen sind die Gitter für den Fahrgastwechsel geöffnet. Zwischen Lok und erstem Wagen ist das Gitter geschlossen. Die Laternen oben im Bild verdeutlichen, dass eine Situation in einer Tunnelstation dargestellt wird.
Padded Car der 1. Wagengeneration der City & South London Railway, Original im London's Transport Museum
Padded Cell Car der C&SLR Die Fahrgäste des Wagens saßen auf 2 Längsbänken mit je 16 Sitzen. Die Fenster bei den Wagen der ersten Wagengeneration waren ganz klein und ganz oben angeordnet. Man war der Meinung, dass im dunklen Tunnel niemand aus dem Fenster schauen möchte. Auch konnte man so die Rückenlehnen der Sitze extrem hoch machen.

Die nächste Wagengeneration hatte „richtige” Fenster und keine Plattform mehr. Die Wagen der ersten Wagengeneration erhielten später ebenfalls „richtige” Fenster. Aber so richtig zum Zurücklehnen waren die Sitze dann wohl nicht mehr …

Die Transportkapazität war recht gering — es konnten maximal 96 Fahrgäste in einem Zug befördert werden. Die Zeitung Daily Telegraph bezeichnet die Bahn als sardine box railway (Sardinendosenbahn), der Volksmund nannte die innen vollständig gepolsterten Wagons padded cells (Gummizellen).

Das Kraftwerk der Bahn befand sich im Stockwell Depot. Es handelte sich um drei Dynamos, die über Riementriebe von Dampfmaschinen gedreht wurden. Damals war dies das größte Elektrizitätswerk Englands.

Stromzuführung: Die Stromzuführung erfolgte über eine nicht mittig zwischen den Schienen verlegten Stromschiene, denn die mit 3,20 m Durchmesser recht engen Tunnel verhinderten, dass Kupplung und Stromabnehmer hintereinander angebracht werden konnten.

Anfänglich betrug die Gleichspannung 450 Volt. Sie wurde 1900 auf 500 Volt erhöht. 1915 wurde sie nochmals erhöht, und zwar auf 550 Volt. So blieb es bis zum großen Umbau der C&SLR ab November 1923. Bis dahin wurden die U-Bahn-Züge mit ihren kleinen Lokomotiven genutzt.

Verlängert wurde die C&SLR 1900 in Richtung Nordwesten unter der City Road bis nach Angel in Islington und in Richtung Süden bis Clapham. Dabei wurde die überlastete Endstation King William Street durch die heutige Station Bank ersetzt. 1907 reichte die Strecke entlang der Pentonville Road bis nach King's Cross und Euston. 1926 wurde die Strecke ein früher Bestandteil der Northern Line.


Die Planung der C&SLR

Die Bahngesellschaft C&SLR wurde 1883 als „City of London & Southwark Subway” gegründet. Ihre beiden Richtungstunnel sollten die Themse kreuzen und in Richtung Süden bis nach Elephant & Castle reichen. Es war eine Kabelbahn vorgesehen.

1888 ging die Patent Cable Tramways Comp., die den Auftrag für den Kabelantrieb erhalten hatte, in Konkurs. Man entschloss sich, es mit den damals ganz neuen Elektrolokomotiven zu versuchen. Die Bahngesellschaft änderte bei dieser Gelegenheit ihren Namen in „City & South London Subway” C&SLR.

Denkmal Greathead, Bank in London Denkmal Greathead, Bank in London
Leitender Ingenieur beim Bau war James Henry Greathead (*1844; †1896). Er hatte bereits beim Bau der Tower Subway mitgewirkt. Nach ihm ist der Greathead-Schildvortrieb benannt. An der Station Bank wurde für ihn ein großes Denkmal aufgestellt. Hier steht ein überlebensgroßer Herr Greathead auf einem etwa 4 m hohen Podest in der Straßenmitte und studiert einen Plan. Als Tourist wird man das Gefühl nicht los, dass er sich in der großen Stadt verlaufen hat und verzweifelt nach einer Übereinstimmung zwischen seinem Stadtplan und der Umgebung sucht!
Tunnelbau am Vortriebschild (London's Transport Museum)
Das Greathead-Schild wird durch hydraulische Pressen oder Winden mit einem Druck von über 150 kg pro cm² gegen und in das Erdreich gedrückt. Die Pressen stützen sich dabei an der bereits fertig gestellten Tunnelröhre ab. Der entstehende Kern aus Erdreich wird abgetragen. Die offene Tunnelwandung wird mit dünnflüssigen Zement verfestigt. Danach wird ein Ring aus Tübbings eingesetzt. Durch Löcher in den Tübbings wird der Zwischenraum um die Tübbings zur Seite mit Zementbrei verfüllt. Die Engländer nennen diesen Vorgang „grouting”.
Letztes Upload: 22.12.2022 um 19:27:53 • Impressum und Datenschutzerklärung