Ein eindeutiges Merkmal von Ausflugssonderzügen ist der gegenüber regulären Zügen reduzierte Fahrpreis. Auch hier war die Canterbury & Whitstable Railway Vorreiter: Am 19.3.1832 ließ sie einen Zug mit reduziertem Fahrpreis laufen.[115, Seite 155f]
Die Geschichte der Lok „Invicta” zeigt, dass nicht alle Vorhaben der Stephensons von Erfolg gekrönt wurden. Die Lokomotive ist nach dem steigenden weißen Pferd benannt, welches das Emblem der Grafschaft Kent ist.
Die „Canterbury & Whitstable Railway” erhielt gegen Anfang des 20. Jahrhunderts den Spitznamen „Crab and Winkle Line” (Krabben- und Strandschneckenlinie).
William James lebte vom 13.6.1771 bis zum 10.3.1837. Er starb an einer Lungenentzündung, die er sich durch eine Postkutschenfahrt im Winter zugezogen hatte.
Bereits 1823 regt William James den Bau der Eisenbahn zwischen Canterbury und Whitstable an und führt entsprechende Untersuchungen durch. William James schlägt drei mögliche Bahntrassen vor. Ohne Rücksicht auf Steigungen und erforderliche Tunnel wird die kürzeste Strecke (etwa 7 Meilen) gewählt. George Stephenson wird hinzugezogen. Sein Assistent John Dixon führt die endgültigen Untersuchungen durch. Robert Stephenson wird mit der Bauaufsicht betraut. Gebaut wird die Bahn von einem anderen Assistenten George Stephensons: Joseph Locke.
Als George Stephenson den 17-jährige Josef Locke 1823 anstellte, war dieser bereits gut ausgebildet. Stephenson war zu jener Zeit mit den Planungen für die Stockton & Darlington Railway beschäftigt. In diesem Arbeitsverhältnis erreichte der junge Josef Locke bald eine Autoritätsstellung. Er und der zwei Jahre ältere Robert Stephenson wurden enge Freunde.
Bei den Planungsarbeiten der Liverpool & Manchester Railway kritiserte Josef Locke die bisherigen Planungen. An denen war auch George Stephenson beteiligt. Die Kritik führte zu einer angespannten Beziehung zwischen Beiden. Trotzdem beschäftigte Stephenson Joseph Locke und Charles Vignoles als Assistenten. Mit Vignoles erzürnte sich Stephenson jedoch, so dass Vignoles ausschied. Locke übernahm die Verantwortung für die westliche Hälfte der Eisenbahnlinie. Zur westlichen Hälfte gehörte das sumpfige Chat Moss. Es gilt als möglich, dass Locke den richtigen Weg zur Bewältigung dieses Problems vorschlug.
Bei der Eröffnung der Linie 1830 fuhr George Stephenson den führenden Zug. Joseph Locke fuhr den Zug, der William Huskisson überfuhr.
1829 hatte Locke als George Stephensons Assistent den Auftrag, die Linie der Grand Junction Railway zu planen. Diese neue Eisenbahn sollte Newton-le-Willows an der Strecke der Liverpool & Manchester Railway mit Warrington verbinden und weiter bis nach Birmingham gehen. Das Direktorium der neuen Eisenbahn setzten Locke für den nördlichen Teil und Stephenson für den südlichen Teil als Verantwortliche ein.[*] Im Herbst 1835 wurde Locke Chefingenieur der ganzen Linie. Locke war nun selbstständig.
[*](So steht es am 23.12.2007 in der deutschen Wikipedia. Smiles[111] schreibt am Anfang von Kapitel 8 etwas ganz anderes: In 1836 the Grand Junction Railway was under construction between Warrington and Birmingham – the northern part by Mr. Stephenson, and the southern part by Mr. Rastrick. Mr. Rastrick war einer der beiden Schiedsrichter beim Lokomotivrennen von Rainhill.)
Lockes Linienführung für die Trasse der Grand Junction Railway vermied soweit wie möglich größere Bauwerke. Ihr größtes Bauwerk war die Talbrücke „Dutton Viaduct” zwischen den Dörfern Dutton and Acton Bridge in Cheshire. Sie besteht aus rotem Sandstein, ist 18 m hoch, 457 m lang und hat 20 Bögen. Fertiggestellt wurde sie am 9.12.1836. Ihr Entwurf stammt von George Stephenson, erbaut wurde sie unter Joseph Locke. Das Viadukt ist immer noch in Betrieb.
Die Linie wurde am 4.7.1837 eröffnet. Die neue Eisenbahn fuhr auf doppelköpfigen schmiedeeisernen Schienen, gehalten von Schienenstühlen auf Holzschwellen im Abstand von 76 cm. Man wollte die Schienen umzudrehen, wenn sie abgenutzt sein würden. Das bewährte sich nicht, weil deren Unterseite an den Lagerstellen eingedrückt wurde. Dennoch war es ein Fortschritt gegenüber den fischbäuchigen Schienen, die Stephenson noch immer bei seiner gleichzeitig (1834–1838) gebauten London-Birminghamer Eisenbahn einsetzte.
Joseph Locke hat sich um einige weitere Eisenbahnen verdient gemacht. So plante er und war am Bau der Strecke Paris – Le Havre beteiligt. Seine Konstruktionsprinzipien wirkten sich in den 1840ern auf weitere Eisenbahnbauten in Frankreich aus. Locke vertraute auf die Stärke der zukünftigen Lokomotiven und akzeptierte Steigungen bis zu 1:125. George Stephenson dagegen vermied Steigungen größer als 1:250 – notfalls baute er Seilzüge mit ortsfesten Dampfmaschinen ein oder nahm Umwege in Kauf. Die Akzeptanz größerer Steigungen spart erhebliche Baukosten.
Beide entwarfen große Viadukte, benutzten Dämme und Einschnitten und vermieden enge Kurven. Locke schreckte vor dem Bau von Tunneln zurück.
Nach dem Ableben George Stephensons erneuerte sich die eingeschlafene Freundschaft zwischen Robert Stephenson und Joseph Locke. Joseph Locke war Sargträger bei der Beerdigung von Robert Stephenson.
Joseph Locke heiratet 1834 Phoebe McCreery. Beide adoptierten ein Kind. Locke starb 1860 während eines Jagdurlaubs vermutlich an Appendizitis. Die drei bedeutenden englische Eisenbahnpioniere Joseph Locke, Robert Stephenson und Isambard Kingdom Brunel sind in der Zeit von Mitte September 1859 bis Mitte September 1860 gestorben. Keiner erreichte das 60. Lebensjahr.
Quellen:
![]() | Der Künstler Thomas Mann Baynes (*1794; †1876) demonstriert bei der Seite der Lokomotive „Invicta” ein mangelhaftes technisches Verständnis. Die Treibräder sind durch eine Pleuelstange miteinander verbunden. Sie müssen den gleichen Durchmesser besitzen, um die gleiche Umfangsgeschwindigkeit zu haben. Die Treibräder auf dem Bild haben jedoch unterschiedliche Durchmesser. Außerdem stimmt die gezeichnete Anzahl der Radspeichen nicht. Tatsächlich sind alle Treibrader der „Invicta” gleich groß und haben 12 Speichen. Die Achsfolge ist B. |
![]() Die Strecke der Canterbury & Whitstable Railway 1830 bis 1846 |
![]() | Die 12 PS starke „Invicta” war für die Steigungen der Strecke zu schwach. Deshalb wurde sie nur auf einem kurzen ebenen Teil der Strecke (es sind die letzten 3 Streckenkilometer vor und in Whitstable) eingesetzt. Auf dem
größten Teil der Strecke wurden die Züge von stationären Dampfmaschinen mit Stahlseilen gezogen. Allerdings stellte sich heraus, dass die „Invicta” auch für die Steigung vom Hafen zur Church Street nicht geeignet ist. Eine weitere
stationäre Dampfmaschine für Seiltraktion wurde nachträglich auf der Anhöhe der Church Street eingerichtet. Danach zog „Invicta” die Züge nur noch über eine ebene Strecke von einer einzigen Meile. 1836 wurde die Lokomotive außer
Dienst gestellt, Ab 1839 versuchte man vergeblich, die Lokomotive zu verkaufen. Viel später – ab 1905 – wurde sie als Denkmal unter freiem Himmel im Park „Dane John Gardens” in Canterbury aufgestellt.
1978 wurde sie im National Railway Museum in York restauriert. 2009 konnte ich sie im „Museum of Canterbury” in der Stour Street, Canterbury fotografieren. Das Museum wird gemeinsam mit dem „Rupert Bear Museum” betrieben. Ganz sicher hätte Rupert an der Lokomotive seine Freude gehabt! Aber seit dem 16.6.2019 ist die Invicta im Whitstable Museum and Gallery in Whitstable ausgestellt.[→Wikipedia, Liste vor 1830 gebauter Lokomotiven] |
Die Lokomotive „Invicta” ist eine verbesserte Version der berühmten „Rocket”. Genau wie die „Rocket” hat die „Invicta” schräggestellte außenliegende Zylinder. Die Zylinder befinden sich erstmalig an der Schornsteinseite der Lokomotive. Bei der „Rocket” und bei der „Northumbrian” befinden sich die Zylinder an der Plattformseite der Lokomotive.
Der Maschinist der „Invicta” steht auf einem Brett seitlich und erhöht neben dem Kessel.
Aus zwei Schautafeln geht hervor, dass die Lokomotive während ihrer kurzen Nutzungsdauer mehrfach umgebaut wurde. U.a. erhielt sie einen neuen Kessel. Alle Umbauten brachten keine wesentliche Verbesserung.
Weiterhin werden auf den Schautafeln einige technische Daten genannt. Demnach beträgt der Zylinderdurchmesser 10 Zoll, der Kolbenhub 18 Zoll und der maximal zulässige Dampfdruck 40 Pfund pro Quadratzoll. Demnach sind Kolben und Kolbenhub größer als bei der „Rocket”, der Dampfdruck ist mit 2,81 at etwas geringer.
![]() | Alle Wagons waren offen, so dass die Fahrt wohl nicht bei jedem Wetter die wahre Freude war. Die Fahrt dauerte 40 Minuten. Täglich fanden 10 Umläufe statt.
1846 erreichte die South Eastern Railway die Stadt Canterbury. Die Gesellschaft hatte bereits 1845 die Canterbury & Whitstable Railway gekauft. Die Strecke wurde neu verlegt und mit stärkeren Lokomotiven befahren. Nun dauerte die Fahrt als Non-Stopp-Fahrt nur noch 20 Minuten. 1952 wurde die Zweiglinie eingestellt, Teile der Bahntrasse wurden zum Radweg umgebaut. Foto links: Die Restaurantreklame in Whitstable zeigtam 28.12.2013 eine Krabbe, eine Strandschnecke und auf der einzigen Brücke der Bahnstrecke die Lokomotive. |