Museumsbahnen und Eisenbahnmuseen:
Über Klein- und Nebenbahnen

Im Brockhaus, Leipzig 1922, steht:
»Kleinbahnen, Tertiärbahnen, Bahnen dritter Ordnung, Eisenbahnen, die dem Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benachbarten Gemeinden dienen (Straßenbahnen und nebenbahnähnliche K., preuß. Ges. vom 28.Juni 1892)«

Kleinbahnen sind selbstständige und nicht staatliche Bahnen für den öffentlichen Verkehr, aber nicht für den Durchgangsverkehr und nicht für den Schnellverkehr. Sie haben lediglich eine regionale Bedeutung.

Die Kleinbahn heißt nicht wegen der Spurweite so, sondern wegen ihrer eingeschränkten (verkleinerten) Verkehrsbefugnis: Sie darf keinen Durchgangsgüterverkehr durchführen. Das bedeutet, wenn Güter von A nach B transportiert werden sollen, und A und B über Nebenbahn- oder Hauptbahnanschluss und Kleinbahnanschluss verfügen, so ist der Transport über die Haupt- oder Nebenbahn durchzuführen. Dadurch vermied der Staat eine mögliche Konkurrenz für seine staatseigenen Haupt- und Nebenbahnen. Der Begriff „Kleinbahn” entstand erst 1892 und ist in § 1 des preußischen Kleinbahngesetzes definiert. Die entsprechenden Gesetze in den Ländern Baden, Mecklenburg und Oldenburg lehnten sich eng an dieses Gesetz an.


Für die Eisenbahnen im Königreich Preußen war das preußische „Gesetz über die Eisenbahn-Unternehmungen” vom 3.November 1838 maßgebend. 1878 wurden reichsweit eingeführt:

In Deutschland war bereits um 1870 der Bau der Hauptbahnen abgeschlossen — die großen Städte waren miteinander verbunden, die Industriegebiete erschlossen. Allerdings gab es damals keine Autos. Wer abseits der Bahnstrecken auf dem flachen Lande lebte, war mehr oder weniger an seinen Wohnort festgebunden.

Für den Bahnanschluss von Dörfern konnte man nicht mit einem hohen Verkehrsaufkommen rechnen. Das bedeutet, dass hier Eisenbahnbetriebe keine kostendeckenden Einnahmen erwarten konnte. Um den Anschluss zu erleichtern, wurden Gesetze erlassen, die eine weniger aufwändige Ausstattung solcher Bahnen zuließ. Dies betrifft die Wegkreuzungen, die Signalanlagen, die Länge von Überholgleisen, die Zulassung der Zugzusammenstellung GmP (Güterzug mit Personenbeförderung) und die Zulassung der Schmalspur. Eine Vorstellung war, dass Kleinbahnen höchstens 25 km/h schnell fahren sollten. Alle diese Maßnahmen erlaubten den Bahnbau und den Bahnbetrieb zu wesentlich reduzierten Kosten.

Das Gesetz zielte darauf,

Zur Zeit des Veröffentlichung des preußischen Kleinbahngesetzes war die Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung KPEV der größte Eisenbahnbetrieb der Welt.

Das genannte, mittlerweile nicht mehr geltende, Gesetz beginnt — mit einigen Anpassungen an die jetzige Rechtschreibung — so:

Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen

Vom 28. Juli 1892

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen usw. verordnen, unter Zustimmung beider Häuser des Landtages der Monarchie, was folgt:

I. Kleinbahnen

§ 1

(1) Kleinbahnen sind die dem öffentlichen Verkehre dienenden Eisenbahnen, welche wegen ihrer geringen Bedeutung für den allgemeinen Verkehr dem Gesetze über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 (Gesetz-Samml. S. 505) nicht unterliegen.

(2) Insbesondere sind Kleinbahnen der Regel nach solche Bahnen, welche hauptsächlich den örtlichen Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benachbarter Gemeindebezirke vermitteln, sowie Bahnen, welche nicht mit Lokomotiven betrieben werden.

(3) Ob die Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gesetzes vom 3. November 1838 vorliegt, entscheidet auf Anrufen der Beteiligten das Staatsministerium.

§ 2

Zur Herstellung und zum Betriebe einer Kleinbahn bedarf es der Genehmigung der zuständigen Behörde. Dasselbe gilt für wesentliche Erweiterungen oder sonstige wesentliche Änderungen des Unternehmens, der Anlage oder des Betriebes. Diese Genehmigung ist zu versagen, wenn die Erweiterung oder Änderung die Unterordnung des Unternehmens unter das Gesetz vom 3. November 1838 bedingt.

Nachfolgend einige weitere Paragrafen des Gesetzes, die mir besonders auffielen:


§ 4

Die Genehmigung wird auf Grund vorgängiger polizeilicher Prüfung erteilt. Diese Prüfung beschränkt sich auf:
  1. die betriebssichere Beschaffenheit der Bahn und der Betriebsmittel,
  2. den Schutz gegen schädliche Einwirkungen der Anlage und des Betriebes,
  3. die technische Befähigung und Zuverlässigkeit der in dem äußeren Betriebsdienste anzustellenden Bediensteten,
  4. die Wahrung der Interessen des öffentlichen Verkehrs.

§ 8

(1) Vor Erteilung der Genehmigung ist die zuständige Wegepolizeibehörde und, wenn die Eisenbahnanlage sich dem Bereiche einer Festung nähert, die zuständige Festungsbehörde zu hören. In diesem Falle darf die Genehmigung nur mit Zustimmung der Festungsbehörde erteilt werden.

(2) Wenn die Bahn sich dem Bereiche eines Reichstelegraphenlinie nähert, so ist die zuständige Telegraphenbehörde vor der Genehmigung zu hören.

(3) Soll das Gleis einer dem Gesetze über die Eisenbahnunternehmungen vom 3. November 1838 unterworfenen Eisenbahn gekreuzt werden, so darf auch in den Fällen, in denen die Eisenbahnbehörde im übrigen nicht mitwirkt (§ 3), die Genehmigung nur im Einvernehmen mit der letzteren erteilt werden.

§ 14

(1) Im Interesse des öffentlichen Verkehrs ist bei der Genehmigung (§ 2) durch die zuständige Behörde über den Fahrplan und die Beförderungspreise das Erforderliche festzustellen; zugleich sind die Zeiträume zu bezeichnen, nach deren Ablauf diese Feststellungen geprüft und wiederholt werden müssen.

(2) Von der Feststellung über den Fahrplan kann für einen bei der Genehmigung festzusetzenden Zeitraum abgesehen werden. Dieser Zeitraum kann verlängert werden.

(3) Die Feststellung der Beförderungspreise steht innerhalb eines bei der Genehmigung festzusetzenden Zeitraumes von mindestens fünf Jahren nach der Eröffnung der Bahnbetriebes dem Unternehmer frei. Das alsdann der Behörde zustehende Recht der Genehmigung erstreckt sich lediglich auf den Höchstbetrag derselben. Hierbei ist auf die finanzielle Lage der Unternehmens und auf eine angemessene Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals Rücksicht zu nehmen.

§ 19

Zur Eröffnung des Betriebes bedarf es der Erlaubnis der zur Erteilung der Genehmigung zuständigen Behörde. Die Erlaubnis ist zu versagen, sofern wesentliche, in der Bau- und Betriebsgenehmigung gestellte Bedingungen nicht erfüllt sind.

§ 20

Die Betriebsmaschinen sind vor ihrer Einstellung in den Betrieb und nach Vornahme erheblicher Änderungen, außerdem aber zeitweilig der Prüfung durch die zur eisenbahntechnischen Aufsicht über die Bahn zuständige Behörde (§ 22) zu unterwerfen.

§ 21

(1) Der Fahrplan und die Beförderungspreise sowie die Änderungen derselben sind vor ihrer Einführung öffentlich bekanntzumachen.

(2) Die angesetzten Beförderungspreise haben gleichmäßig für alle Personen oder Güter Anwendung zu finden.

(3) Ermäßigungen der Beförderungspreise, welche nicht unter Erfüllung der gleichen Bedingungen jedermann zugute kommen, sind unzulässig.

§ 23

Die Genehmigung kann durch Beschluss der Aufsichtsbehörde für erloschen erklärt werden, wenn die Ausführung der Bahn oder die Eröffnung des Betriebes nicht innerhalb der in der Genehmigung bestimmten oder verlängerten Frist erfolgt.

§ 24

Die Genehmigung kann zurückgenommen werden, wenn der Bau oder Betrieb ohne genügenden Grund unterbrochen oder wiederholt gegen die Bedingungen der Genehmigung oder die dem Unternehmer nach diesem Gesetze obliegenden Verpflichtungen in wesentlicher Beziehung verstoßen wird.

§ 26

(1) Bei Erlöschen oder Zurücknahme der Genehmigung wird die für die Unterhaltung und Wiederherstellung öffentlicher Wege bestellte Sicherheit, soweit sie für den bezeichneten Zweck nicht in Anspruch zu nehmen ist, herausgegeben. Mangels anderweitiger Vereinbarung hat der Wegeunterhaltungspflichtige die Wahl, die Wiederherstellung des früheren Zustandes, nötigenfalls unter Beseitigung in den Weg eingebauter Teile der Bahnanlage, oder gegen angemessene Entschädigung den Übergang der letzteren in sein Eigentum zu verlangen.

(2) Macht der Unterhaltungspflichtige von dem ersteren Rechte Gebrauch, so geht das Eigentum der zurückgelassenen Teile der Bahnanlage auf den Unterhaltungspflichtigen unentgeltlich über.

(3) Im öffentlichen Interesse kann die Aufsichtsbehörde eine Frist festsetzen, vor deren Ablauf der Unterhaltungspflichtige nicht berechtigt ist, die Wiederherstellung des früheren Zustandes zu verlangen.

§ 28

Unternehmer von Kleinbahnen sind verpflichtet, sich den Anschluss anderer Bahnen gefallen zu lassen, sofern die Behörde, welche die Genehmigung für die Bahn, an welche der Anschluss erfolgen soll, erteilt hat, mit Rücksicht auf die Konstruktion und den Betrieb der Bahn den Anschluss für zulässig erachtet. Dieselbe Behörde entscheidet auch darüber, wo und in welcher Weise der Anschluss erfolgen soll, regelt in Ermangelung einer gütlichen Vereinbarung die Verhältnisse beider Unternehmer zu einander und setzt, vorbehaltlich des Rechtsweges, die dem erstgedachten Bahnunternehmer für die Benutzung oder Veränderung seiner Anlagen zu leistende Vergütung fest.

§ 30

Haben Kleinbahnen nach der Entscheidung des Staatsministeriums eine solche Bedeutung für den öffentlichen Verkehr gewonnen, dass sie als Teil des allgemeinen Eisenbahnnetzes zu behandeln sind, so kann der Staat den eigentümlichen Erwerb solcher Bahnen gegen Entschädigung des vollen Wertes nach einer mit einjähriger Frist vorangegangenen Ankündigung beanspruchen.

§ 39

Zur Anlegung von Bahnen in den Straßen Berlins und Potsdams bedarf es Königlicher Genehmigung.

§ 42

Die Kleinbahnen unterliegen nachfolgenden Verpflichtungen gegenüber der Postverwaltung:
  1. Die Unternehmer haben auf Verlangen der Postverwaltung mit jeder für den regelmäßigen Beförderungsdienst bestimmten Fahrt einen Postunterbeamten mit einem Briefsack und, soweit der Platz reicht, auch andere zur Mitfahrt erscheinende Unterbeamte im Dienst gegen Zahlung der Abonnementsgebühr oder, falls eine solche nicht besteht, der Hälfte des tarifmäßigen Personengeldes zu befördern.
  2. Die Unternehmer solcher Bahnen, welche sich nicht ausschließlich mit der Personenbeförderung befassen, sind außerdem verpflichtet, auf Verlangen der Postverwaltung mit jeder für den regelmäßigen Beförderungsdienst bestimmten Fahrt:
    1. Postsendungen jeder Art durch Vermittlung des Zugpersonals zu befördern, und zwar Briefbeutel, Brief- und Zeitungspakete gegen eine Vergütung von 50 Pfennig für jede Fahrt, die anderen Sendungen gegen Zahlung des Stückguttarifsatzes der betreffenden Bahn oder, sofern dieser Betrag höher ist, gegen eine Vergütung von 2 Pfennig für je 50 Kilogramm und das Kilometer der Beförderungsstrecke nach monatlichen Gesamtgewicht der von Station zu Station beförderten Poststücke;
    2. in Zügen, mit welchen in der Regel mehr als ein Wagen befördert wird, eine Abteilung des Wagens für die Postsendungen, das Begleitpersonal und die erforderlichen Postdienstgeräte, gegen Zahlung der in den Artikeln 3 und 6 des Reichsgesetzes vom 20. Dezember 1875 (Reichs-Gesetzbl. S. 318) und den dazugehörigen Vollzugsbestimmungen festgesetzten Vergütung, sowie gegen Entrichtung des halben Stückguttarifsatzes der betreffenden Bahn einzuräumen.
  3. Die Postverwaltung ist berechtigt, auf ihre Kosten an den Bahnwagen einen Briefkasten anbringen und dessen Auswechselung oder Leerung an bestimmten Haltestellen bewirken zu lassen.

Laut Arthur Fürst[101] gab es 1918 im damaligen Deutschen Reich

Die Kleinbahnen hatten einen wesentlichen Stellenwert: Sie verbanden den ländlichen Raum und abseits liegende Industriestandorte mit den Absatz- und Einkaufsmärkten. Ihre Hauptaufgabe war der Güterverkehr. Der Personenverkehr erfolgte nebenbei. Besonders die Fahrgäste der GmPs konnten sich auf längere Fahrzeiten einstellen, denn die Güterwagen mussten an den Bahnhöfen von ihrem Zug rangiert werden.

In der Normen Europäischer Modellbahnen NEM 806D heißt der Zeitraum von 1875 bis 1895: „Epoche I b”. Der Textvermerk dazu lautet:
Ergänzung des Streckennetzes. Erste Nebenbahnen (Sekundärbahnen) sowie Klein- und Lokalbahnen (Tertiärbahnen). Erste Schmalspurbahnen.


Drei Punkte sind bemerkenswert:

  1. Um das Umladen der Güter an den Übergangsbahnhöfen zur normalspurigen Bahn einzusparen, gab es so etwas wie Huckepackverkehr. Einzelne Normalspurgüterwagen wurden auf Rollböcken oder auf Rollwagen von der Schmalspurbahn mitgenommen. Rollböcke sind zweiachsige Gestelle, die unter jeweils eine Achse des normalspurigen Wagons gesetzt werden. Rollwagen sind Schienenstücke, die ihrerseits von Achsen mit recht kleinen Rädern getragen werden. Es ergibt sich eine besonders hohe Einheit auf besonders schmaler Spur - ein recht wackliges Gebilde. Nur gut, dass Kleinbahnen langsam fahren!

  2. Die Betriebssituation der Kleinbahn mit dem geringen Fahrgastaufkommen führte zum frühen Einsatz von Triebwagen anstelle von Loks für den Personenverkehr.

  3. Die Kleinbahnen wurden mit Einführung der Autos unwirtschaftlich. Da es sich um abgeschlossene Betriebe handelt, bildeten sie eine Keimzelle für Museumseisenbahnen und Eisenbahnmuseen.
Letztes Upload: 24.03.2023 um 18:32:00 • Impressum und Datenschutzerklärung